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Weihnachten (zwei)mal anders

– Was ohne all die üblichen Gewohnheiten noch übrigbleibt, - und was es mir als Christin bedeutet

Für mich ist es nun schon das zweite Weihnachtsfest in Folge, das sich völlig von den Weihnachten abhebt, die ich zuvor gewohnt war. Vor genau einem Jahr befand ich mich bei etwa 30°C, freundlichstem Sonnenschein während der Christmette, zwischen Panettone und lauter farbenfrohen Blumen am Straßenrand in einem riesigen Kreis aus fast 20 Leuten im peruanischen Sommer in den Anden. Meine Geschenke packte ich vor lauter Betriebsamkeit und Hektik erst am 25. Dezember via Skype gemeinsam mit meinen Eltern aus und am 26. Dezember war ich sogar im Freibad. Zwar wollte trotz Plätzchenback-Aktionen, Weihnachtsliedern am Lagerfeuer und Krippenspiel keine richtige Weihnachtsstimmung aufkommen, doch obwohl dieses Weihnachten anders war, genoss ich es doch sehr. In meinen Blog schrieb ich damals folgendes Fazit, vielleicht erinnert ihr euch daran:

 

„Mein Resümee der Weihnachtszeit ist also Folgendes: Es war zwar anders, aber wunderschön. Bunt, lustig, laut, warm, aber sehr intensiv. Gerade weil die vielen Missionare hier getrennt von ihren Familien in Deutschland leben und es weder ablenkende Weihnachtsmärkte noch Schnee gibt, wird die eigentliche Botschaft sehr tiefgehend behandelt. Die gegenseitigen Geschenke stehen im Hintergrund, während das eine Geschenk, das Geschenk dieses großen, liebe- und hingebungsvollen Gottes ins Zentrum rückt. „Uns ist heute der Retter geboren.“ Das sagt sich so leicht daher, gerade, wenn man aus einem kirchlich geprägten Umfeld kommt. Doch was es wirklich bedeutet... Dass der höchste Gott alles aufgibt, um uns nahe sein zu können; um uns die Chance zu geben, ihm für immer nah zu sein und frei zu werden... Das ist so viel größer, als es in letzter Konsequenz wirklich vollkommen begreifen zu können.

Aber wenn man dieses eine Geschenk hat, - das durfte ich dieses Jahr erfahren, - dann braucht man eigentlich gar nichts anderes mehr.“

 

Interessanterweise trifft gerade der letzte Satz genau die Situation sehr genau, in der wir uns dieses Jahr befinden. Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass ich im nächsten Jahr noch nicht einmal einen Weihnachtsgottesdienst würde besuchen können und dass ich weder meine Großeltern noch – abgesehen von meinen Eltern und meinem Bruder, - sonst einen Teil der Familie sehen würde, dann hätte ich ihm ehrlich gesagt vermutlich kein Wort geglaubt. „¿Estás de broma?“

Wenn man mir erzählt hätte, dass es keine Weihnachtsmärkte in dem Sinne mehr gibt und dass man in den Kirchen nicht mehr singen darf, noch weniger. (Okay, dass es auch 2020 keinen Schnee geben wird, damit hätte ich ehrlich gesagt auch von selbst gerechnet… :‘D)

 

Aber Spaß beiseite, gerade dieses Jahr, in dem der Advent - mein Advent zumindest - zeitweise von Einsamkeit geprägt war, in welchem ich das Singen und das gemeinsame Plätzchenbacken vermisste und in dem ich mich mehr als je zuvor einfach unheimlich gern mit vielen Freunden an einem Lagerfeuer getroffen hätte, fällt vieles von der sonstigen Fassade ab und die Botschaft von Weihnachten wird wieder zentraler und wichtiger. Warum feiern wir dieses Fest überhaupt? Was ist es, das uns so fehlt, auch wenn wir es nicht richtig in Worte fassen können. Ist es nicht letztendlich Hoffnung? Hoffnung auf eine bessere, Corona-unabhängigere Zukunft aber vielleicht auch darauf, dass da noch mehr ist; jemand, der unsere Trauer versteht und uns mit unserem Frust und unserer Einsamkeit nicht allein lässt? Sehnen wir uns nicht vielleicht nach Frieden, Gottes Frieden, der gerade in dieser dunklen, seltsamen Zeit das einzige Heilmittel gegen unsere diffuse Angst und Unsicherheit ist? Was, wenn der wahre Grund dafür, dass wir dieses Fest feiern, - zwar diesmal ganz anders, aber eben immer noch im Kreis der Familie und als wichtigen Feiertag, - die Botschaft sein könnte, die alles verändert? Die vielleicht nicht alle äußeren Umstände abschafft, sehr wohl aber unsere innere Not, wenn wir es zulassen. Welche nicht unbedingt jede Krankheit und jede Sorge sofort auslöscht, aber Trost und Zuversicht spendet, einfach durch das simple Versprechen:

„Ich bin da. Gerade in den heftigsten Stürmen deines Lebens lasse ich dich nicht im Stich, sondern will dir persönlich begegnen. Du kennst mich vielleicht noch nicht, aber ich kenne dich und ich habe dich so sehr geliebt, dass ich an dem Tag, den ihr mit „Weihnachten“ feiert, in diese Welt kam, damit du mich kennenlernen kannst. All das Leid, das du spürst, habe ich selbst schon durchlitten. Ich will es dir abnehmen und biete dir an, es bei mir abzuladen. Ich kann dich davon freimachen, habe es am Kreuz bereits getan. „Ich weiß, wovon du redest. Bin, wo du jetzt bist. Ich ging für dich zu Boden. Durch die Hölle und zurück.“

 

Die letzten Sätze stammen aus einem Lied des christlichen Musikers Samuel Harfst. Das Wort, auf welches ich meinen Fokus legen möchte, ist „und zurück“! Jesus ging mitten hinein in die Nacht dieser Welt, um die Dunkelheit endlich zu vertreiben: Um den Hungrigen satt zu machen, sich den Unterdrückten in Barmherzigkeit zuzuwenden und ja, - auch, um irgendwann Gerechtigkeit zu schaffen und die von ihrem Thron zu stürzen, die gewalttätig über andere herrschen. So besingt es Maria in ihrem Loblied. Und auch der Engel, der den Hirten in der Nacht begegnet, kündigt den Frieden an, der kommen wird: „Fürchtet euch nicht, habt keine Angst. Ich verkünde euch eine Freudenbotschaft: Euch ist heute ein Retter geboren!“ Dieser Retter kam, um Frieden zu bringen, doch er wusste auch, was es kostete. Aus Liebe ging er buchstäblich durch die Hölle, - doch dabei blieb es nicht. Stattdessen folgte ein „und zurück“ und damit der grandioseste Sieg der Menschheitsgeschichte. Der Sieg über das Böse. Die Versöhnung von gefallenem Menschen und liebendem Gott. Und dieser Triumphzug beginnt ganz leise, still und heimlich in dieser einen Nacht, in der aus dem „Unfassbar“ plötzlich ein „Anfassbar“ wird.

 

Das alles klingt ziemlich durchgekaut und abstrakt: Die meisten von euch haben die oben genannten Zitate bestimmt schon dutzende Male in den jährlichen obligatorischen Weihnachtsgottesdiensten gehört. Doch was bedeuten sie wirklich? Was, wenn es gar nicht um etwas Abstraktes geht, sondern etwas Persönliches, das in dem Herzen und mit der Entscheidung jedes Einzelnen beginnt? Ich glaube und habe erleben dürfen, dass Gott mich durch Jesus gerettet hat, - und zwar nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes meinen Körper und mein Leben (dazu später mehr) sondern auch meine Seele. Er hat mit all dem, womit ich mich und auch andere kaputt gemacht habe und was mich letztendlich von ihm getrennt hat, aufgeräumt und mir Vergebung dafür angeboten. Alles, was es dafür brauchte, war ein schlichtes: „Vergib mir, bitte. Ich glaube, dass es dich gibt und dass du mir das vergeben kannst, weil du am Kreuz dafür bezahlt hast. Auch wenn ich es nicht so richtig verstehe, entscheide ich mich dazu, es zu glauben. Komm du in mein Leben und mach es hell.“

 

In einer Gesellschaft, in der die eigene Gesundheit zur Religion geworden ist und gerade zu der aktuellen Zeit, in welcher dem Thema Gesundheit alles untergeordnet wird, ist es für mich sehr wichtig, mich immer wieder darauf zu besinnen, dass Jesus nie kam, um so gesund und vor allem lange wie möglich zu leben. Im Gegenteil: Er verausgabte sich in seinem Dienst für andere und wählte letzten Endes keinen geruhsamen Tod im engsten Kreis der Familie, sondern den wohl schmerzhaftesten Verbrechertod, den man sich vorstellen konnte. Das heißt nicht, dass jeder Christ sofort zum Märtyrer werden muss, doch es lässt darauf schließen, dass es Wichtigeres zu geben scheint, als die Länge unseres Lebens, - auch wenn es sich bei diesem natürlich trotzdem um ein unheimlich Wertvolles Geschenk handelt, mit dem wir verantwortlich umgehen sollten: Bei uns selbst und auch bei anderen. Dennoch nimmt es mir oft eine Last von der Schulter, mit einer gewissen Ewigkeitsperspektive auf mein Leben zu schauen: Das Schlimmste, was mir dann passieren kann, ist es, zu Gott zu gehen: Ab einem bestimmten Punkt habe ich ohnehin keine Kontrolle mehr darüber, wann ich sterben werde, doch das ist in Ordnung: Weil meine Zeit in Gottes Händen steht und er mich nicht zu sich rufen wird, bevor er gemeinsam mit mir den Plan verwirklicht hat, den er sich für mich ausgedacht hat. Und selbst, wenn er das dann tut – und früher oder später wird es geschehen, - dann wird es mir dort auf alle Fälle so gut gehen, wie ich es mir jetzt noch nicht einmal im Entferntesten erträumen kann.

Es ist diese Perspektive, die Jesus verwirklicht und die zu Weihnachten bereits angekündigt wird. Auch in diesem Jahr 2020, auch und trotz und gerade mit Corona. Jesus kam, um Mut zu machen, Kraft zu schenken und zu heilen: Körper, das auch. Aber vor allem unsere Herzen. Und es ist keine befristete Heilung mit Rückfallrisiko, sondern eine beständige. Ewige.

 

Ich wurde dieses Jahr in der Adventszeit oft gefragt, was mir Weihnachten bedeutet und ich habe über diese Frage wirklich noch einmal intensiv nachgedacht: Was bleibt, wenn ich all die Assoziationen, die mir durch Sozialisation und Erziehung antrainiert wurden, wegdenke? Was ist es, was übrigbleibt, wenn ich die Traditionen und Bräuche streiche, die Erwartungen und Geschenke, wenn ich aufhöre, Weihnachten nur noch als Fest „der Familie“ zu betrachten? Das ist es auch, aber eben nicht nur. Ja, was bleibt übrig, wenn selbst der Weihnachtsgottesdienst nicht mehr stattfindet? Wir haben uns heute als Ersatz einen Online-Gottesdienst unserer Gemeinde angesehen (https://www.youtube.com/watch?v=nsnitTW0ruM&feature=youtu.be, bei Interesse) und unser Pastor hat meiner Meinung nach sehr gute Worte für das gefunden, was auch mir zu dem Thema durch den Kopf geht: Jesus kam nicht in Glanz und Gloria, er kam durch die Hintertür, zu ganz gewöhnlichen Menschen in einer völlig normalen Alltagssituation. Und vielleicht ist es gerade der diesjährige, coronabedingte Wegfall vieler gewohnten Traditionen, der uns hilft, wieder einen Blick auf das Wesentliche zu erhaschen, mehr noch als sonst zur Ruhe zu kommen und uns weg von dem üblichen Stress mehr darauf zu konzentrieren, was Jesus uns eigentlich geben möchte.  Letzten Endes kann ich sagen, dass das, was ich letztes Jahr für mich entdeckte, immer noch gilt: „Wenn man dieses eine Geschenk hat, dann braucht man nichts anderes mehr.“

 

Das heißt nicht, dass man Weihnachten zwangsweise darauf reduzieren muss. Dass es dieses Jahr so anders ist, erzeugt bei mir und sicherlich auch bei euch ein Gefühl von Wehmut und Verlust. Es ist schön, sich gegenseitig zu beschenken und ich bin überzeugt davon, dass Gott sich ebenfalls darüber freut, wenn wir Gemeinschaft mit ihm und unseren Mitmenschen genießen und anderen eine Freude machen. Ich bin außerdem überzeugt, dass er mit all denen mitleidet, die gerade einsam sind und noch weniger als sonst in den Genuss von gemeinschaftlicher, heilsamer Atmosphäre kommen. Es bedeutet allerdings genau den Trost, dass Weihnachten selbst dann noch Weihnachten bleibt, wenn all das wegfällt. Weil kein Virus in der ganzen geschaffenen Welt etwas an dem ändern kann, was bereits geschehen ist:

 

Dass der Schöpfer dieser Welt sich klein machte, um seinen Geschöpfen auf Augenhöhe zu begegnen und aus Liebe zu ihnen sein Leben zu geben.  

 

Und wenn das stimmt…

 

Dann ändert das alles.