Alltag bei Diospi Suyana

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Ich wollte bleiben, wo der Pfeffer wächst... und konnte nicht. (RÜCKREISE)

 

Das ist alles so surreal.

 

 

 

Ich sitze in einem Langstreckenflug von Santiago de Chile nach Frankfurt am Main, 14 Stunden lang, der längste Flug meines Lebens und ich habe überhaupt keine Angst.

 

Es ist ein Nachtflug und der Wechsel zwischen oberflächlichem Schlaf, Filme schauen und ungesundes Zeug in mich hineinstopfen lässt meine Gedanken zu einem seltsamen, zähflüssigen Chaos verschwimmen. Noch kann ich das alles einfach nicht einordnen.

 

 

 

Das Licht draußen macht es nicht besser. Wir haben Vollmond, was dafür sorgt, dass man rechts einen tollen Ausblick auf mondlichtbeschienene, silberblau glänzende Wolkenfelder hat, während auf der anderen Seite der Himmel in einem unwirklichen Violett zu fluoreszieren scheint.

          

Ich will nicht weg. Doch um mich herum sitzen so viele Diospi-Suyana-Mitarbeiter, die mit mir ausgeflogen werden, dass ich noch gar nicht richtig verstehe, was dieser Flug hier bedeutet.

 

Dass danach 10.000 Kilometer zwischen mir und dem Ort liegen werden, an dem ich eigentlich sein will, an dem ich mich gebraucht und nun irgendwie zuhause fühle.

In den ich mich mitsamt seinen Bewohnern in dem letzten halben Jahr unwiderruflich verliebt habe.

 

Ich komme wieder.

 

Dieser Gedanke ist es, der mich gerade noch tröstet. Der mich gemeinsam mit dem Frieden, den Gott mir schenkt, aufrecht hält.

 

Aber wer weiß schon, wann?    

 

Ich kann gerade noch nicht denken, dazu komme ich später. Alles, was ich momentan weiß, ist, dass ich vermutlich schlafen oder etwas trinken sollte (am besten Beides, allerdings ist der Film gerade so spannend...) und dass ich mich darauf freue, dass der Flug vorbei ist und ich nach dieser Reise endlich irgendwo ankomme. Dass ich meine Eltern wiedersehe. 

        

Doch ich kann nicht behaupten, dass ich mich auf Deutschland freue. „Es atmet nicht.“, hat Madita letztens gesagt und im Vergleich zu der Schönheit der Anden in der Regenzeit kommt auch mir die Erinnerung an meinen Heimatort wie eine Betonwüste vor.

 

Und wovor ich mich am meisten fürchte, ist die soziale Isolation, die uns allen anfangs empfohlen wird. In den Wald zu gehen, scheint okay zu sein, doch was für ein Wald?

 

Es wird kalt sein, schätze ich, kälter, als ich es vom peruanischen Sommer gewohnt bin.

Und was ist, wenn Deutschland durch die Corona-Angst völlig anders ist, als ich es gewohnt bin?

Wenn sich der Kulturschock verstärkt?

Kontrolle abgeben. Ich denke, das ist etwas, in dem ich im letzten halben Jahr besser geworden bin. Das beweist allein schon, wie ruhig ich auf diesem Flug bin. (Auch wenn jetzt so langsam echt einmal die Sonne aufgehen könnte.)

 

Eine andere Wahl habe ich ohnehin nicht.

Dennoch fühle ich mich irgendwie verwirrt, unfertig: Gerade im Umbauprozess und nun unvollständig wieder zurückgeworfen. Zwischen zwei Welten, nirgendwo richtig angekommen oder aufgebrochen. Vielleicht fühlt es sich so an, wenn man einen Teil seines Herzens an einem weit entfernten Ort, bei weit entfernten Menschen zurücklässt.

          

Ja, ich weiß. Das klingt ziemlich melodramatisch. Aber ich befinde mich gerade etwa 11.000 Höhenmeter über dem Meeresspiegel, am Beginn eines ausgewachsenen Jetlags und immer noch völlig verwirrt und überrumpelt von der ganzen Situation. Da darf man das.

 

So sollte das nicht sein. Das ist einfach falsch. Solche und ähnliche Gedanken schießen mir in regelmäßiger Wiederholung durch den Kopf.

Das ist einfach zu früh.

 

 

Mittlerweile haben wir den 10. April. Karfreitag.

 

Ich sitze an unserem Wohnzimmertisch und denke darüber nach, wie wenig sich hier verändert hat und wie seltsam das ist. Ich fühle mich so anders, aber nun wohne ich plötzlich wieder mit meinen Eltern zusammen, schlafe in einem Zimmer, in dem ich meine gesamte Kindheit verbracht habe und so ist es unweigerlich, dass mein Körper sich beinahe automatisch dazu entschließt, den gewohnten Alltagstrott wieder mitzumachen. Selbst Gedanken, die ich ein ganzes Jahr nicht mehr gekannt habe, kommen unweigerlich wieder hoch und ich bin noch zu müde und erschöpft, um gegen sie anzukämpfen. Schon jetzt fühlt sich Curahuasi wie ein entfernter Traum an und ich habe Angst, dass mir die Erinnerungen irgendwann durch die Finger gleiten werden, weil nun alles exakt so weitergeht wie kurz vor meiner Abreise und das, obwohl ich mit meinem Lebensabschnitt hier in Wernigerode doch eigentlich vollkommen abgeschlossen hatte. Sonst wäre ich denke ich nicht gegangen. Und nach meiner Einreise wollte ich eigentlich beinahe sofort mit dem Studieren beginnen. Wollte...

 

Es gibt so viele Dinge, die ich mir vorgenommen habe, die ich wollte.

 

Nichts davon lässt sich nun in die Tat umsetzen.

 

Den Tag über komme ich irgendwie damit zurecht, aber die Abende sind hart: Wegen des Jetlags und meiner umherwirbelnden Gedanken komme ich einfach nicht zur Ruhe.

 

Ich sollte nicht hier sein. Noch nicht., schießt es mir dann durch den Kopf.

 

Gleichzeitig weiß ich, dass in Curahuasi der Tag noch lange nicht aufgehört hat, dass sich die Welt weiterdreht, - ein wenig langsamer zwar wegen der Quarantäne, aber immerhin mit einem tollen Ausblick und Menschen, die ich liebgewonnen habe. Währenddessen scheint meine Welt in einer seltsamen Sinnlosigkeit gestrandet zu sein. Noch weiß ich nicht, was ich das nächste halbe Jahr tun werde. Genausowenig, wie mein Herz akzeptiert zu haben scheint, dass meine Zeit in Peru nun unweigerlich vorbei ist. Aber wie auch? Es ging alles viel zu schnell.

 

Ich bete viel und flehe Gott um Hilfe an, doch der Schmerz bleibt und ich weiß zwar, dass er irgendwann abebben wird, aber noch ist es nicht so weit und bis dahin muss ich irgendwie lernen, damit zu leben. Ich würde gerne meine Freunde treffen, doch ich habe mich erst einmal 14 Tage in freiwillige Quarantäne, - sogenanntes „social distancing“, - begeben, sodass das vorerst wohl nichts wird.

 

 

 

Einige von euch haben vielleicht schon mitbekommen, dass ich wieder in Deutschland bin, doch für die anderen kommt diese Information vermutlich etwas plötzlich, - nach all den Updates, in denen ich noch geschrieben habe, dass ich vermutlich bleiben darf. Was ist seitdem also geschehen?

 

 

 

Ich war die ganze Zeit über in Quarantäne, allerdings mit drei anderen Mädels: Janna, Selina und Nele. Nele hatte letzten Endes kein Corona und auch wir haben uns nicht angesteckt, - jedenfalls bestimmt nicht bei ihr. Wir haben unsere Zeit mit Kochen, Spielen, Musik machen und Sport machen verbracht und die Sporthalle ausgiebig zum Badminton spielen genutzt.

 

Des weiteren waren wir einen Großteil unserer Zeit damit beschäftigt, sicherheitshalber schon einmal Abschiedsbriefe zu schreiben und zu entscheiden, wem wir welche der Sachen, die wir eventuell hierlassen müssen, schenken. Insofern war die Quarantäne rückblickend auch ein echter Segen: Wir konnten uns wenigstens ein bisschen emotional vorbereiten. Gleichzeitig war es auch ein echtes Chaos. Ständig erhielten wir eine neue Information: Mal hieß es, wir dürften doch hierbleiben, wenn wir eine andere Organisation fänden, dann wieder, dass dies wohl nicht möglich sei, allerdings vielleicht etwas Anderes... Es war ein furchtbares gefühlsmäßiges Durcheinander und ich merke, dass ich von dem ganzen abwechselnden Hoffen und dann wieder Verzweifeln immer noch ziemlich müde und erschöpft bin. Letzten Endes wisst ihr ja, wie es ausging: Wir erhielten die Information, dass wir nun wirklich gehen mussten. Zwar hätten wir privat auf eigene Faust bleiben und bei der GVS kündigen können, die uns zurückschicken musste, doch dann hätten wir unsere Aufenthaltsgenehmigung, die Auslandsversicherung und generell unseren Status als IJFDler verloren. Darüber hinaus hätte auch Diospi Suyana gar nicht mehr mit uns gearbeitet, da sie uns diese gewaltige Entscheidung abnehmen und uns nicht gefährden wollten.

 

Momentan ist es hier in Deutschland tatsächlich gefährlicher als dort in Peru. Nur die Aufregung ist viel größer: Die Leute sprühen die Straßen mit Chlor ein, man darf nur noch mit Mundschutz auf die Straße, von sechs Uhr abends bis fünf Uhr morgens herrscht absolute Ausgangssperre und wer sich nicht daran hält, muss ins Gefängnis. (Innerhalb von fünf Minuten sind vor unserer Tür drei Polizeiautos mit eingesammelten Leuten vorbeigefahren)

 

Des Weiteren dürfen an Montagen, Mittwochen und Freitagen von fünf Uhr morgens bis ein Uhr mittags nur die Männer zum Einkaufen heraus, während am Dienstag, Donnerstag und Samstag die Frauen das nachkaufen, was ihre Ehemänner vergessen haben. Nein, Spaß. Aber es war tatsächlich das erste Mal in meinem Leben, dass ich nicht Einkaufen gehen durfte, weil ich eine Frau war.

 

In einigen Bereichen ergibt die strenge Führung Sinn, in anderen konnte ich nur den Kopf schütteln. Was bringt es beispielsweise, die Zeiten, in denen man Einkaufen gehen darf, zu verkürzen? Das verursacht nur, dass mehr Leute zur selben Zeit unterwegs sind, - und die Ansteckungsgefahr damit steigt. Auch darf man nicht mehr sein eigenes Auto benutzen, sondern nur noch in Taxis unterwegs sein. Warum das völlig sinnfrei ist, muss ich glaube ich gar nicht erst erklären.

 

Ohne Erlaubnis die eigene Stadt zu verlassen, ist durch etliche Polizeisperren völlig unmöglich.

 

Trotz all der Beschränkungen versuchte ich so gut es ging, mich von all den Menschen, die ich liebgewonnen hatte, zu verabschieden: Missionarsfamilien genauso wie den Kindern im Kinderheim Alma und meinen Schülern, mit denen ich nun über Whatsapp-Anrufe Unterricht machte. Glücklicherweise ist das eine Sache, die ich auch von Deutschland aus weiterführen kann, um mich nicht völlig nutzlos zu fühlen.

 

Auch den Bergen sagte ich Lebe-Wohl: Anna, mit der ich mich hier angefreundet hatte, zeigte mir noch einen versteckten Wasserfall, den man nur auf Schleichwegen erreichen konnte, ohne einem einzigen Menschen zu begegnen und oben auf dem Capitan Rumí genoss ich ein Letztes Mal den Blick in den Canyon. (Nur, um auf dem Rückweg einen Platten zu haben und den ganzen Berg nicht hinunterzusausen, sondern zu schieben. Aber hey, so konnte ich noch einmal einen ausgedehnten Spaziergang genießen.)

 

Wir packten schweren Herzens unsere Koffer und verließen das Haus, in dem wir das letzte halbe Jahr gewohnt hatten. Es war seltsam, das jetzt zu tun. Wenn ich darüber nachgedacht hatte, irgendwann wieder auszuziehen, hatte ich immer an August gedacht, - und hatte mit einem völlig anderen Gefühl gerechnet: Trauer, ja, aber vor allem auch einem Anflug von leiser Freude darauf, meine Familie und Freunde wiederzusehen. Der Erwartung, dass nun ein neuer Lebensabschnitt, nämlich das Studium, beginnen wurde. Doch in diesem Moment fühlte ich mich einfach nur leer.

 

Mein Herz wollte all das irgendwie immer noch nicht wahrhaben. Kein Wunder.

 

Wie in Trance geschahen lauter vorerst „letzte Male“: Wir gaben unsere Schlüsselkarte im Krankenhaus zurück, bezahlten die letzte Handyrechnung, aßen das letzte Mal ein typisch peruanisches Gericht in der Krankenhauskantine, leckere peruanische Früchte wie Carambolas, Granadillas, frische Feigen oder Kaktusfeigen und natürlich das leckere Brot von Matthias. Ich gab ein letztes Mal Klavierunterricht bei den Bradys und ging irgendwann dann auch ein letztes Mal den Weg zum Krankenhaus und zurück, auf dem ich ein weiteres letztes Mal die schneebedeckten Gipfel der 6000er sehen konnte. Manchmal musste ich in dieser Zeit anhalten, weil die Erkenntnis dann irgendwie doch bis zu mir durchsickerte und die Trauer sich in Form von verzweifelten Tränen einen Weg bahnte. Wir hatten alles versucht: Herumtelefoniert, über eine Kündigung nachgedacht, E-mails geschrieben... Ich hatte sogar gefragt, ob es Sinn ergeben würde, einen Brief an das Auswärtige Amt und Familienministerium zu schreiben, erhielt jedoch die Antwort, dass das in der jetzigen Situation eher kontraproduktiv sei. Wir hatten gekämpft. Und, - so fühlte es sich jedenfalls an, - verloren.

 

Als noch nicht endgültig klar gewesen war, dass wir zurückreisen mussten, hatte ich eher mit der Frage gerungen, ob es richtig war, hierzubleiben und ob ich es mir trotz kommender Schwierigkeiten vorstellen konnte. Wenn das Virus in Apurímac ankäme, stünden für 500.000 Menschen nur 30.000 Beatmungsgeräte zur Verfügung, - und zehn davon gehörten Disopi Suyana.

 

Doch ich hatte letzten Endes den Entschluss gefasst, gerade deswegen zu bleiben, weil ich wusste, dass sie jede helfende Hand würden brauchen können und dass Gott mich, wenn er mich hier gebrauchen wollte, mit allem ausstatten würde, was ich dazu brauchte. Seine Kraft ist schließlich in den Schwachen mächtig. Doch tja, da denkt man, man ist ein erwachsener Mensch und kann eigene Entscheidungen treffen, aber... Pustekuchen.

 

Ein Tag, eine Nachricht und schon wieder ist Alles anders.

 

Und obwohl ich es versuchte, konnte ich nicht anders: Ich fühlte mich betrogen: Betrogen um das Spanisch, das ich noch gelernt hätte, betrogen um die Beziehungen, die ich nun nicht vertiefen oder vielleicht gar nicht eingegangen war. Betrogen um meine geistliche und persönliche Entwicklung, die sicher noch nicht zuende war.

 

Ich hatte keine Wahl. Das sage ich mir hier ständig, in der Hoffnung, dass es ein wenig hilft.

 

Denn es stimmt. Ich hatte einfach keine andere Wahl.

 

Und gleichzeitig hatte ich in dieser Situation auch unheimlich viel gebetet. Ich hatte all mein Vertrauen auf Gott gesetzt und ihn gebeten, mir zu zeigen, was richtig ist: Wenn ich gehen sollte, alle Türen zu schließen. Und das hatte er getan.

 

Gerade, weil wir wirklich alles versucht hatten, zeigte mir das zumindest, dass die Rückkehr in irgendeiner Art und Weise Gottes Plan für mich war. Auch wenn ich ihn nicht verstand, nicht verstehen wollte und auch jetzt noch Mühe habe, mich damit abzufinden.

 

Bis zum Schluss hatte ich gebetet, dass sie mich wegen meines Visums, das ich immer noch nicht in den Händen hielt, vielleicht nicht aus dem Land lassen würden, doch leider war die Dame am Schalter für meinen Geschmack viel zu verständnisvoll gewesen. Auch davor hatte es dutzende Situationen gegeben, in denen alles hätte schiefgehen können: Die Polizisten an der ersten Kontrolle waren vor allem darauf aus gewesen, ihre Macht zu demonstrieren und ließen uns erst einmal eine Stunde nicht durch, bis der Polizeioffizier der Polizei in Cusco anrief und den Beamten gehörig die Meinung geigte. Von da an begleitete uns eine Polizeieskorte bis nach Cusco.

 

 

Gott hätte es verhindern können. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen. Doch dass er es nicht getan hatte, war eine Erhörung eines ernst gemeinten Gebetes. Das heißt nicht, dass es dieses Chaos für mich emotional einfacher macht. Plötzlich wieder mit den eigenen Eltern zusammenzuwohnen ist ziemlich strange, wenn man in diesem halben Jahr erwachsen und eben einfach anders geworden ist, das zuhause aber überhaupt nicht auffällt. Auch Wernigerode sollte anders sein, ist es aber nicht.

 

Die Leute grüßen weiterhin kaum und ich sehe zwar den Wald und den Frühling, doch im Vergleich zu den Anden verliert das Alles seinen Glanz.

 

Gleichzeitig weiß ich allerdings, dass ich ohne Gott jetzt völlig verloren wäre. Ich brauche seine Kraft und seinen Frieden und ich vertraue ihm auch weiterhin. Ich weiß, dass er mich nicht fallen lässt und dass es okay ist, traurig zu sein, dass es in Ordnung ist, mit der Situation zu hadern.

 

Gerade heute, an Karfreitag, verstehe ich ganz neu, was es für Jesus bedeutet haben muss, das Paradies hinter sich zu lassen und zu uns zu kommen. Was er dafür aufgeben musste.

 

Er sah jedoch nie auf seinen Verlust und auf sein Gefühl, sondern auf uns. Er gab Alles auf, um uns damit die Möglichkeit zu geben, den größten Schatz zu gewinnen.

 

Und trotzdem hatte auch er Angst. Im Garten Getsemaneh betete er: Vater, dein Wille geschehe. Aber wenn du es kannst, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen.

 

Zu meiner Taufe habe ich mich dazu entschieden, mein altes Ich hinter mir zu lassen. Ich wollte zeigen: Ich bin mit Jesus gestorben und mit ihm wieder auferstanden. Der Tod kann uns nichts mehr anhaben. Und er hat auch unseren Schmerz und unser Leid getragen. Er weiß, wie es sich anfühlt und verspricht uns, unsere Lasten abzunehmen, wenn wir damit zu ihm kommen.

 

Ja, ich bin unendlich traurig. Ja, ich verstehe das alles nicht.

 

Doch ich bin damit nicht allein und ich weiß, dass der Schmerz ein Ende haben wird.

 

Ich habe die Wahl: Ich kann verzweifeln und resignieren, oder ich kann versuchen, jeden Tag für all das dankbar zu sein, was ich habe. Denn ändern kann ich an der Situation ohnehin nichts.

 

Und heute entscheide ich, Elena Kemmann, mich dazu, von meiner Trauer wegzusehen und meine Kraft für die Menschen hier in Deutschland zu nutzen. Wenn Gott mich mit Absicht zurück an diesen Ort gestellt hat, dann will ich mich von ihm gebrauchen lassen.

 

Bereits gestern habe ich eine Liste mit Dingen erstellt, die ich hier vielleicht tun kann: Sei es, mich freiwillig für die Mithilfe im Krankenhaus anzumelden oder einfach nur, für ältere Leute einkaufen zu gehen. Ich will mich nicht entmutigen lassen.

 

Ich will Licht sein.

 

Denn gerade jetzt gibt es zwar viele Menschen, die an Corona sterben, aber es gibt noch viel mehr Menschen, die Hunger leiden, Angst haben, in einer Abhängigkeit feststecken oder sogar verfolgt werden. Sie brauchen mein Gebet aber auch meine Unterstützung und wo ich es kann, werde ich von Gottes Liebe, Gnade und Größe erzählen, die Leben verändern kann, Angst vertreibt, Herzen heilt und Wunder tun kann. Gleichzeitig will ich nicht nur reden, ich will auch anderweitig aktiv werden. Mein IJFD läuft offiziell erst einmal weiter. Gerade bin ich zwar noch in freiwlliger Quarantäne, danach kann ich mir jedoch ein Projekt und ehrenamtliche Tätigkeiten in Deutschland suchen.Bereits jetzt lerne ich weiterhin Quechua und Spanisch und habe auch vor, meine Übersetzungsarbeit weiterzuführen. Und ich bin dabei nicht allein. Gott ist an meiner Seite, aber wenn ihr es wollt, dann könnt ihr es auch sein.

 

 

 

In Apurímac ist die Situation mit den Beatmungsgeräten ein echtes Problem.

 

Klaus John und andere Mitarbeiter bemühen sich gerade darum, mehr Atemgeräte zu kaufen, diese sind jedoch sehr teuer. Teuer, - aber dringend notwendig.

 

Wenn ihr wollt, - oder Leute kennt, die ebenfalls nach sinnvollen Möglichkeiten suchen, um irgendwie zu helfen, - könnt ihr das Projekt mit einem kleinen Betrag unter diesem Link unterstützen:

 

https://www.diospi-suyana.de/jetzt-spenden/

      

Von dem Geld werden Beatmungsgeräte gekauft um die Leben der Peruaner und vor allem älteren Quechua-Indianer zu retten. Ich danke euch jetzt schon einmal für eure Hilfe und freue mich darauf, euch alle wiederzusehen.

 

UPDATE

 

Okay, es hat sich hier noch mehr verändert. Wie gesagt, es geht alles drunter und drüber. Das absolute Chaos. Aber bevor ich dazu komme, möchte ich noch einmal eine Sache klarstellen:

 

Ich bin mir der Verantwortung, die wir haben, absolut bewusst. Das Thema ist ernst und ich wollte es nicht ins Lächerliche ziehen, dazu gibt es einfach viel zu viele Leute, die wirklich vorsichtig sein müssen und die unser Gebet brauchen.

 

Was mich allerdings in den letzten Wochen, - und aus eben noch größerer Distanz gestört hat, - war die panische Stimmung. Leute, die mit Halbwissen die Läden leerkaufen und Gerüchte verbreiten.

 

Das ganze Hin und Her; dass es an einem Tag noch heißt, morgen geht die Schule noch weiter, am nächsten, dass sie nicht mehr stattfinden kann, wir aber Materialien für die Schüler vorbereiten sollen und am übernächsten, dass die Schüler diese Materialien wegen der Quarantäne gar nicht abholen können. Ja, Quarantäne, ihr habt richtig gelesen.

 

Es ist einfach alles ein bisschen viel auf einmal. Also entschuldigt bitte, wenn mein Sarkasmus manchmal ein wenig überhand genommen hat. Es ist nur alles so unwirklich... und ging so schnell, dass es für viele, - mich nicht ausgeschlossen, - einfach erst einmal eine Überforderung darstellt.

 

 

 

Wie ist es jetzt also weitergegangen?

 

Momentan befinde ich mich in der Wohnung eines befreundeten Ehepaars: Matthias und Uta (Brotbäcker, Alltagshelden, Kuchenverschenker, Beter, Unterstützer und Helfer, wo sie können) haben mir erlaubt, die nächsten 15 Tage bei ihnen zu wohnen. Der Grund: Ganz Peru hat 15 Tage Ausgangssperre, außer zum Einkaufen und Arbeiten,- wenn es sich dabei um einen Beruf handelt, der notwendig ist. Einerseits beeindruckt mich die Konsequenz dieser Entscheidung, andererseits bedeutet das für einen zwanghaft aktiven Menschen wie mich die Gefahr, in den eigenen (ziemlich engen) vier Wänden auf die Dauer wahnsinnig zu werden. Hier, bei Matthias und Uta befinde ich mich gleichzeitig auf dem Grundstück des Colegios, und hier gibt es eine Sporthalle, einen Fußballplatz, Musikinstrumente und Kunstutensilien. Immerhin könnte ich so ein paar Runden laufen, wenn ich vor lauter überschüssiger Energie gar nicht mehr weiß, wohin mit mir.

 

Und auch das Klavierspielen wird mir gut tun.

 

Ganz zu schweigen davon, dass Matthias und Uta einfach tolle Menschen sind, bei denen man sich wirklich nur wohl fühlen kann.

 

 

Wir Voluntarios saßen zu unserem vorerst letzten gemeinsamen Hauskreis bei einem Lagerfeuer zusammen, aßen Kekse und sangen Loblieder, als wir es erfuhren. Der Himmel über uns war sternenklar und die Luft angenehm mild, sodass wir das Gefühl hatten, dass nichts uns etwas anhaben konnte. Aber im Ernst: Eigentlich stimmt das auch. Mit Gott an unserer Seite kann uns nichts geschehen. Denn wer unter dem Schirm des höchsten sitzt und im Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu seinem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Denn er errettet dich vor dem Strick des Jägers und von der verderblichen Pest. (Psalm 91)

 

 

 

Es ist nur ein seltsames Gefühl. Irgendwie hängen jetzt beinahe alle in der Luft. Das Retiro, also das gemeinsame Freizeitwochenende von Diospi Suyana, wurde abgesagt, Restaurants sind geschlossen, alle Sportangebote fallen aus und ich für meinen Teil würde gerne etwas tun, weiß allerdings noch nicht genau, was.

 

Andererseits habe ich jetzt auch die Zeit für eigene, neue Projekte. Malen, Schreiben, Quechua-Lernen. Ich kann endlich Dinge erledigen, zu denen ich lange nicht mehr gekommen bin. Und vielleicht kann Gott diese Zeit ja auch ganz besonders segnen: Mir und all den anderen helfen, zur Ruhe zu kommen, Zeit mit ihm zu verbringen und in seiner Gegenwart aufzutanken.

 

Wer weiß? Newton hat in einer Quarantäne-Zeit das Werk vollendet, das ihn später berühmt gemacht hat.

 

Ich habe nicht das Ziel, berühmt zu werden, aber ich möchte das Beste aus dieser Zwangspause machen und sie nutzen und genießen, so gut es geht.

 

 

 

 

Jetzt sitze ich gerade am Schreibtisch, schaue aus dem Fenster auf die gewaltige Bergkulisse, die sich mir bietet und schreibe diesen Beitrag. Werner hat mir Lomo Saltado aus dem Krankenhaus mitgebracht, der Kühlschrank ist randvoll mit Lebensmitteln und wir haben genug Wasser, Platz und ein gemütliches Bett. Alles in allem geht es uns momentan wirklich gut. Sogar ein Smoothiemaker und ein Waffeleisen steht uns zur Verfügung, was natürlich ausgekostet werden muss!

 

Ich habe mich entschlossen, von Tag zu Tag und von Moment zu Moment zu leben. Alles andere bringt mir ohnehin nichts, - höchstens Angst, Sorgen und emotionalen Stress.

 

Papa hat mich außerdem daran erinnert, dass ich gerade in dieser Zeit durch Ruhe und Gelassenheit ein Licht sein kann, - jemand, der andere ermutigt und aufbaut.

 

 

 

Des weiteren hat sich die Situation etwas entschärft: Da das Bundesministerium unsere Flugkosten nicht übernehmen würde, bleibt doch erst einmal alles, wie gehabt.

 

Nach den 15 Tagen Quarantäne bleiben ohnehin noch mindestens 15 weitere Tage Flugsperre, sodass die Organisation entschieden hat, dass wir erst einmal hierbleiben können, bis sich alles etwas beruhigt hat. Das bedeutet für mich Aufatmen.

 

Das ganze Hin- und Her zeigt mir allerdings auch, wie sehr ich es genieße, hier zu sein und wie traurig ich darüber wäre, jetzt abbrechen zu müssen. So oder so führt es dazu, dass ich alles, was ich hier bereits zu schätzen und lieben gelernt habe, jetzt noch viel bewusster genießen kann, - jedenfalls in dem Maß, in dem es mir möglich ist.

 

Heute bin ich einfach ein paar Runden über das Grundstück hier gejoggt und habe die tolle Aussicht in mich eingesaugt. Ich atme die klare Luft ein, schmecke den intensiven Geschmack des Obstes hier, esse das Lomo Saltado, als wäre es mein Letztes und freue mich über jeden Kontakt, - und sei es nur über Whatsapp, - den ich zu den Menschen hier haben kann. Ich freue mich sogar über das Hundebellen... wer hätte das gedacht?

 

Noch bin ich hier.

 

Und noch heißt das, dass mein Freiwilligendienst hier alles andere als vorbei ist.

 

Vielleicht habe ich jetzt endlich mal die Zeit, noch mehr auf Gottes Wort und das zu hören, was er mir sagen will. An dieser völlig ungewissen Situation zu wachsen.

 

Und gestärkt daraus hervorzugehen.

 

 

 

Ich bete für euch und eure Familien! 

 

UPDATE 2

 

 

 

Okay, das neue Update kam so schnell, dass ich gar nicht die Zeit oder das WLAN hatte, das erste zu veröffentlichen. Wenn ich gestern noch geschrieben habe, dass hier alles drunter und drüber geht, dann ist jetzt offiziell das völlige Chaos ausgebrochen.

 

 

 

Gestern Abend kam noch die Nele vorbei und wir machten uns eine schöne Zeit: Ich hatte Crossaints gekauft (ja, auch so etwas gibt es hier in Curahuasi), wir zündeten Kerzen an, machten uns Tee, musizierten ein wenig und sahen uns anschließend gemeinsam einen Film an.

 

Gegen zehn Uhr beteten wir dann gemeinsam und als wir vorher die Anliegen sammelten, sprach Nele von einer WG-Mitbewohnerin, die mit hohem Fieber und einer Lungenentzündung im Krankenhaus lag. Grippe: Negativ. Corona? Noch nicht bestätigt, aber ziemlich wahrscheinlich.

 

Die Testergebnisse würden morgen eintreffen.

 

„Manchmal frage ich mich schon, ob ich mich nicht vielleicht auch angesteckt habe.“, gab sie zu.

 

„Ich bin morgen zwei Wochen hier, aber dieser eine Tag fehlt eben noch. Und selbst, wenn ich keine Symptome entwickle, könnte ich es ja trotzdem haben, weißt du? Ich will echt niemanden anstecken. Ich hab auch echt lange gebetet, bevor ich hierher zu dir gekommen bin.“

 

Erfahren hatte sie von ihrer Mitbewohnerin erst, als sie schon längst hier war.

 

Und da wurde es mir plötzlich klar: Es war nicht zwangsweise so, dass Nele das Corona-Virus hatte, doch es war möglich. Und wenn es Nele es hatte, dann konnte es gut sein, dass ich mich angesteckt hatte und nicht nur ich, sondern auch alle anderen Voluntarios und die Leute, mit denen wir Kontakt gehabt hatten und generell alle Menschen, die im Comedor im Krankenhaus zu Mittag gegessen hatten oder die Nele in der Schule über den Weg gelaufen waren.

 

Und das wiederum bedeutete... Meine Gedanken kreiselten, fuhren Karussell und ließen sich nicht stoppen. Ich hasse es, wenn so etwas abends vor dem Einschlafen geschieht!

 

Eben war das Virus noch weit entfernt gewesen: Europa, dann Lima und schließlich Cusco. Ich hatte Witze gemacht und vielleicht entfernt darüber nachgegrübelt, was wohl geschehen würde, wenn es denn ankam. Und jetzt, viel schneller, als ich gedacht hatte, war es plötzlich in greifbare Nähe gerückt, so nah, dass ich nicht einmal mehr ausschließen konnte, dass ich mich nicht vielleicht sogar angesteckt hatte. Und die Verantwortung, die das für mich bedeutete, war enorm.

 

Vielleicht war es sogar schon zu spät.

 

 

 

Wir beteten gemeinsam, lasen noch einmal den Psalm 91, legten Gott alles in die Hände, doch obwohl mein Verstand das versuchte, kam mein Herz irgendwie nicht hinterher. Während ich schon längst im Bett lag, arbeitete mein Gehirn weiter, suchte nach Lösungen, die außerhalb meines Einflussgebietes lagen und stellte sich die Frage, wie nun wohl alles werden würde, ob ich nun überhaupt noch vor die Tür gehen durfte und all den anderen „Was-wäre-wenns“.

 

Irgendwann setzte ich mich noch einmal auf und betete mit aller Entschlossenheit, die ich in meinem halbwachen Zustand aufbringen konnte: „Herr, du siehst, dass ich unheimlich große Angst habe. Aber ich möchte mich jetzt gegen diese Angst entscheiden. Du hast mir einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit gegeben. Dein Wille geschehe, - ich habe eh nichts von dem, was passiert, in der Hand. Deshalb lege ich das jetzt alles hin und ja, mit deiner Kraft bin ich bereit, alles aufzugeben. Sei du das wichtigste in meinem Leben. Das Fundament auf dem ich stehe.“

 

Zuvor hatte Gott mit seiner leisen Stimme auf meine stummen Schreie geantwortet, oft allerdings eher mit Gegenfragen, als mit den klaren Ansagen, die ich mir vielleicht erhofft hatte.

 

Vertraust du mir?

 

Bist du bereit für ein Wunder?

 

In der Welt habt ihr Angst, doch ich habe die Welt überwunden. Dieser Vers. Immer wieder.

 

Und dann die alles entscheidende Frage, die in schöner Regelmäßigkeit in unserer Beziehung auftauchte: Bist du bereit, mich zum Wichtigsten in deinem Leben zu machen und alles für mich aufzugeben, wenn es nötig ist?

 

Ich dachte an Abraham und Isaak. Und dann an Hiob: Alles ist von Gott gegeben und er kann auch alles wieder nehmen. Doch alles, was ich an Gutem besitze, ist ohnehin nur ein Bonus, ein Geschenk, das ich mir überhaupt nicht erarbeiten könnte. Und wenn ich ihm vertraue, wenn ich dem allmächtigen Gott bedingungslos vertraue, dann ergibt auch alles andere wieder Sinn.

 

Dann ist sein Plan der Beste. Und Gott fragt mich nach meiner Bereitschaft, diesem Plan zu folgen, selbst, wenn es auf den ersten Blick Schwierigkeiten und Verzicht bedeuten kann.

 

Es fiel mir schwer, doch ich antwortete: „Ja, mit deiner Hilfe.“

 

Und dann, endlich, schlief ich ein.

 

 

 

All das Chaos in meinem Kopf und der Hahn am nächsten Morgen weckten mich mal wieder viel zu früh auf. Im Nachhinein kann ich jedoch froh darüber sein, denn nur deshalb schrieb ich auch der Missionsärztin Doro so früh und nur deshalb konnten wir alle so früh reagieren.

 

Wir hatten eigentlich noch überlegt, ob es nicht möglich sein würde, dass ich den Kindern bei ihrer Fernschule half, nun wollte ich sie jedoch vorwarnen und erzählte ihr deshalb, worüber Nele und ich gestern Abend noch gesprochen hatten. Ihre Antwort kam schnell und eindeutig:

 

Tut mir echt leid, aber ich empfehle euch beiden 14 Tage absolute Quarantäne. Das ist die Zeit, in der das Virus ausbrechen kann. Auf jeden Fall, bis raus ist, was sie hat.

 

Dann ging alles recht schnell: Ich sollte mich bei Martina melden, Uta rief mich an und schließlich wurde für alle Voluntarios eine Ausgangssperre für 14 Tage verhängt, die Bedingungen also verschärft. Wieder einmal bin ich froh über das große Gelände, das mir für diese Zeit zur Verfügung steht.

 

Das alles allein war schon Schock genug.

 

Dann jedoch kam plötzlich eine E-mail von der GVS, in der es hieß, dass wir zurückgeschickt werden würden und unsere Einsatzstellen verlassen mussten.

 

Das traf mich völlig unvorbereitet und gab mir nun vollkommen den Rest.

 

Nele heulte, weil sie sich solche Selbstvorwürfe machte, ich weinte, weil ich nicht aus Curahuasi weg wollte (Warum hatte Gott mich dann überhaupt hierhergeschickt? Ich wollte noch so viel tun, hatte noch so viele Ideen. Und hatte gedacht, ich hätte noch so viel Zeit...) und das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass wir uns noch nicht einmal umarmen konnten, um uns gegenseitig zu trösten.

 

Ich zwang mich, regelmäßig weiterzuatmen, stand wie unter Schock und tat dann das Erstbeste, was mir einfiel: Ich rief meine Mutter an. Ein paar Minuten, tröstende Worte und Gebete später, konnte ich wieder klarer denken. Klar genug jedenfalls, um Nele die Mails von der GVS vorzulesen und ihr zu versichern, dass es keinesfalls ihre Schuld war, dass wir zurückgeschickt werden sollten. Dass überhaupt nichts von dem, was hier geschah, ihre Schuld war.

 

Dass die Welt in ihren Grundfesten erschüttert wurde und alles, was wir tun konnten, war, Gottes Hand und seinen Frieden zu ergreifen, den er uns trotz, - und gerade wegen, - Allem anbot.

 

 

 

UPDATE 3

 

 

 

Egal.

 

Ich schicke diese Updates dann einfach alle gleichzeitig herum.

 

Momentan sitze ich in der Schule, höre einen Podcast, male und genieße meine freie Zeit.

 

Die Situation mit Nele hat sich in den letzten Tagen aufgeklärt: Der erste Test ihrer Freundin viel negativ aus und auch sie selbst ist jetzt schon über 14 Tage in Peru, ohne jegliche Symptome zu zeigen. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Virus hatte, sehr gering ist, und selbst, wenn sie es hatte, dass sie höchstwahrscheinlich keine direkte Überträgerin war.

 

Dementsprechend sind wir jetzt wieder etwas freier: Wir dürfen im Krankenhaus unser Mittagessen und das leckere deutsche Brot für die Woche abholen und ich hatte sogar die Gelegenheit, bei dem Kinderheim Alma mitzuhelfen und mit einer meiner Schülerinnen die Englischhausaufgabe durchzugehen.

 

Zu viert nutzen wir unsere freie Zeit, um auszuschlafen, Quechua zu lernen, zu kochen, Waffeln zu backen, Gesellschaftsspiele, sowie Spike-Ball, Fußball und in der Halle Badminton und Basketball zu spielen, Musik zu machen und vieles mehr. Manchmal überreden wir sogar den Wachmann hier dazu, sich mit uns eine Tischkicker- oder Tischtennispartie zu liefern.

 

Darüber hinaus arbeite ich an der Übersetzung unseres Pfadinderhefts für den Exploradores-Club, den ich hier momentan leite.

 

Es ist schön, in diesen emotional sehr anstrengenden Tagen nicht allein zu sein, denn die Situation ändert sich weiterhin ständig (ich weiß nicht, ob ihr von den Rückholaktionen gehört habt) und es ist immer noch nicht klar, ob wir wirklich hierbleiben dürfen, selbst, wenn sich alle Mitarbeiter von Diospi für uns einsetzen. Unsere Lehrerkollegen haben sogar eine Gebetskette gestartet und ich weiß auch von vielen von euch, in Deutschland, dass eure Gedanken und Gebete bei uns sind. Dafür sind wir euch sehr dankbar und letztendlich ist es ja wie gesagt sein Wille, der geschieht und sein Plan ist sicherlich der Beste.

 

 

 

Gestern Abend haben wir uns dann alle noch spontan gegen Pneumokokken impfen lassen, - die Bakterien, die im Falle einer Superinfektion eine heftige Lungenentzündung verursachen können.

 

Auch da bleibt abzuwarten, ob die Impfung etwas bewirkt, oder nicht, Diospi hat sie jedenfalls für jeden Mitarbeiter gekauft und ich bin dankbar für die Schutzmaßnahme, auch wenn mein linker Oberarm gerade noch etwas anderes sagt.

 

 

 

Alles in allem genieße ich die Zeit und versuche, nicht ängstlich zu sein.

 

Janna ist optimistisch, dass wir hierbleiben dürfen und das versuche ich auch.

 

„Ich glaube, Herr. Hilf meinem Unglauben.“ 

 

Wie schnell sich alles ändern kann...

In ungefähr zehn Minuten würde es eigentlich zum Unterricht klingeln.

 

Normalerweise wäre ich dabei, die letzten Materialien für die kommende Stunde noch einmal durchzugehen, das Gebäude und vor allem der Schulhof wäre voller Leben und wir...

 

irgendwie sinnvoll beschäftigt.

 

Stattdessen sitze ich nun hier und tippe diesen Blogeintrag, neben mir dutzende weitere Lehrer, die kurzfristig so viele Materialien zusammenstellen, wie sie können, um den Schülern für die „Sonderferien“ etwas zu tun zu geben.

 

Verwaiste Gänge, verlassene Klassenzimmer.

 

Ab und an ein weinendes Kind, doch es ist nur ein Lehrerkind, welches wir als Voluntarios nun betreuen, - in den nächsten Wochen vermutlich eine unserer Hauptaufgaben.

 

Dabei hatte ich mich gerade so gefreut: Nach den Feiertagen hatten wir tagsüber in der Bibliothek gearbeitet und Bücher eingeschlagen, - eine sehr entspannte Aufgabe, da wir nebenbei Musik und „Die drei ???“-Folgen hören konnten. Ab und an beschäftigten wir uns auch damit, Werte für Statistiken auszurechnen, Werbung für unser Vacacional zu machen (es ist kaum zu glauben, wie blöd man sich mit einem knallgelben Leibchen und einem Regenschirm auf einer Straße fühlen kann, wenn man merkt, dass man einem vorübergehenden Passanten bereits zum vierten Mal denselben Spruch aufgesagt hat) oder auch Briefe der deutschen oder peruanischen Paten an ihre Patenkinder zu übersetzen. Zwei Monate haben die Kinder hier Ferien und diese zwei Monate waren für uns zwar entspannt, zogen sich allerdings auch in die Länge. Natürlich hatten wir endlich die Zeit, zu verreisen und mehr von Peru zu sehen ,- (Bericht folgt bald), - gleichzeitig freute ich mich allerdings auch schon wieder auf die Schule und den beginnenden Unterricht. 

 

Immerhin war mein letzter Monat dann mit dem Vacacional, der Vorbereitung und dem Exploradores-Kinderclub voll ausgefüllt.

Das Vacacional beispielsweise gestaltete sich bunt und abwechslungsreich, aber anstrengend. Ich hatte die Möglichkeit, mich beim Malen, einem Zirkel in der Turnhalle und sogar mit Unihockey und einem Zaubertrick-Workshop einzubringen. Das alles machte wirklich Spaß, war jedoch gleichzeitig auch eine große Herausforderung, da wir teilweise zu zweit für eine Gruppe von beinahe 30 Kindern zuständig waren. Kindern, die teilweise erst ein Alter von drei bis fünf Jahren hatten! Um 1 Uhr Nachmittags war ich deshalb teilweise bereits so erschöpft, dass ich das Gefühl hatte, mich hinlegen und tausend Jahre schlafen zu können. (Leider sind es in meinem Fall dann ja doch immer eher sechs oder sieben Stunden, wenn ich Glück habe...)

Anstatt von vier Wochen ging dieses Ferienprogramm dieses Mal allerdings nur zwei Wochen lang,- und das war meiner Meinung nach auch völlig ausreichend. 

Darüber hinaus durfte ich zwei Tage lang ein Praktikum im Krankenhaus absolvieren und sogar bei einigen Operationen dabei sein, die mich total faszinierten. Auch im Radio konnte ich mich einbringen und ausprobieren und Matthias brauchte beim Brotbacken morgens im Krankenhaus ebenfalls immer Unterstützung. Diese Flexibilität war irgendwie auch schön. 

 

(Ha, es hat gerade wieder geklingelt, das macht mich irgendwie wütend. Egal, weiter im Text.) 

Mit den Pfadfindern starteten wir ebenfalls coole Aktionen. Wir machten Schokobananen über dem Feuer, ließen die Kids aus gesammeltem Müll etwas „nützliches“ bauen (wer am kreativsten war, gewann), gingen zusammen ins Freibad und spielten dort Spiele, weil es mal wieder kein Wasser gab und beschäftigten uns außerdem spielerisch mit erster Hilfe (ein paar von ihnen glaubten zuerst wohl wirklich, dass ich einen Kreislaufzusammenbruch erlitten hatte...).

 

Und dann ist da noch Judith. Judith ist die neue Englischlehrerin aus Hamburg, die mich nun bis Ende Juni unterstützen wird. Oder, besser gesagt: Ich unterstütze sie.

 

Wir verstehen uns unheimlich gut; sei es bei den ausgedehnten Wanderungen, die wir in den letzten Wochen unternommen haben, beim Freeletics (etwas, was ich hier zum ersten Mal ausprobiere) oder einfach beim gemeinsamen Unterricht-Vorbereiten, - gern auch bei einem gemeinsamen Kaffee bei einem von uns zuhause oder beim „Delyhuasi“, - dem einzigen Geschäft, das sich hier in Curahuasi wirklich „Café“ nennen darf. Seit neustem haben sie sogar eine richtige Eistheke und Eisbecher und die Kuchen und der Latte Macchiato sind ebenfalls legendär.

 

Darüber hinaus ist Judith unheimlich motiviert und hat eine tolle Art, mit den Schülern umzugehen. Auch, weil sie ihr Referendariat an einer Brennpunktschule absolviert hat, kann ich unglaublich viel von ihr lernen. Alles in allem ist sie eine echte Gebetserhörung für mich und es macht wirklich Spaß, gemeinsam mit ihr im Team zu arbeiten.

 

Nach zwei Wochen intensiver Vorbereitung hatten wir auch wirklich schon einen guten Vorlauf und mehrere Monate bereits grob geplant. Ich stand eine Woche lang wieder vor den Schülern, lachte und scherzte mit ihnen, merkte, wie sehr ich sie vermisst hatte... und dann das. 

Um ehrlich zu sein, hatten wir hier bisher nur über das Virus gescherzt. Während sich in Deutschland bereits die ersten Leute verrückt machten und die Läden leer kauften, verdrehten wir teilweise die Augen über die Hamsterkäufe und den Wind, der um das Thema gemacht wurde.

 

Dann jedoch ging plötzlich alles ganz schnell. Erst gab es den ersten bestätigten Fall in Lima, dann entschied die Regierung kurzerhand, alle Schulen zu schließen und von einem Tag auf den anderen hieß es auf einmal, dass auch das Colegio Diospi Suyana ab Montag schließen sollte.

 

Wochenlang hatten wir uns außerdem auf die Kinderclubs vorbereitet: Ein neues Programm für Kinder von 6 bis 14 Jahren einstudiert, die Musik geprobt und uns zu vielen verschiedenen Besprechungen getroffen. Und nun, genau an dem Tag, an dem es losgehen sollte, schrieb Marco mit einem Mal, dass alle Kinderclubs bis auf weiteres stillgelegt werden würden.

 

„Und wann macht dann die Schule zu?“, hatte ich noch flapsig in die Gruppe geschrieben, da es für mich überhaupt keinen Sinn ergab, nur die Kinderclubs und nicht die Schule zu schließen.

 

Tja, und jetzt ergab es Sinn. Irgendwie, jedenfalls. Auch wenn es mir deutlich lieber gewesen wäre, hätte all das weiterhin stattgefunden.         

Von außen hatte ich nie so richtig verstehen können, warum die Kirchen alle Treffen absagten, bei denen Jugendliche von Gottes Liebe profitieren konnten. Alles wurde auf Eis gelegt; selbst die Gottesdienste. Und das in einer Zeit, in der wir uns doch eigentlich gerade zum Beten treffen sollten. Wo blieb da das Gottvertrauen, fragte ich mich? Wenn Gott nicht will, dass wir krank werden, dann werden wir es auch nicht.

 

Jetzt, wo ich gezwungenermaßen mehr über das Thema nachdenke, ist es natürlich längst nicht mehr so einfach. Dennoch klang für mich in vielen der Nachrichten ein Hauch von Panik durch, den ich nicht ganz nachvollziehen konnte. Wir müssen alle einmal sterben.

 

Und als Christen haben wir ja schließlich eine Hoffnung über den Tod hinaus.

 

Doch hier in Peru haben viele Menschen durch Vorerkrankungen eine geschwächte Lunge; sei es wegen Tuberkulose oder durch die harte Arbeit in den Braunkohle-Minen.

 

Natürlich war es da klüger und auch richtig, verantwortungsvoll zu sein.

 

Aber musste es so früh geschehen? Es gab doch noch nicht einmal einen bestätigten Fall in Cusco!

 

Wir konnten es alle gar nicht so richtig glauben. Eben war das Virus noch so weit entfernt gewesen, - und jetzt stellte es unser gesamtes Leben auf den Kopf.

 

Ob meine Eltern kommen konnten, war mit einem Mal wieder völlig ungewiss.

 

Missionare, die gerade im Ausland waren, kamen nicht mehr hinein und solche, die nach drei Jahren ihres Dienstes eigentlich wieder zurück nach Deutschland hatten fliegen sollen, steckten plötzlich in Peru fest. Die Preise stiegen an, die Leute begannen plötzlich, sich mit Mehl, Reis und ja, auch hier, mit Klopapier einzudecken. Darüber hinaus durfte man sich zur Begrüßung nun nicht mehr umarmen und auf die Wange küssen,- etwas, was der peruanischen Kultur zutiefst widerstrebt. Viel mehr als die Freude einiger Schüler über die verlängerten Ferien spürte man eine kaum greifbare, wachsende, allgemeine Panik. Viele Peruaner waren schlecht informiert und litten nun vermutlich Todesängste. Corona war das Gesprächsthema Nummer eins. Sollte der erste Fall im Krankenhaus Diospi Suyana eintreffen, musste auch dieses für alle Menschen außer die Coronapatienten seine Pforten schließen. Schlimmer als das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit der Situation gegenüber, war die Ungewissheit.Wie würde es weitergehen? Was würden die Menschen machen, die nicht so viel Geld hatten, um sich die teurer werdenden Lebensmittel leisten zu können?

 

Sollte man sich aller Vernunft zum Trotz vielleicht doch lieber an den Hamsterkäufen beteiligen, einfach, weil es alle anderen tun und es sonst bald eventuell nichts mehr gibt?

 

(Letztens wurde ich ernsthaft gefragt, ob ich wirklich nur ein halbes Kilogramm Möhren kaufen wolle. Die gäbe es wohl bald nicht mehr so günstig...)

 

Wie würde mein weiterer Freiwilligendienst hier aussehen? Nun hatte ich zwar mehr Zeit zum Wandern oder für eigene Projekte wie das Erlernen von Quechua, aber das war auf Dauer ja auch keine Lösung, oder? Denn obwohl man bisher offiziell von zwei Wochen sprach, ging ich nicht davon aus, dass die Schule Anfang April wieder öffnen würde.

 

Vor allem für Judith tat es mir leid, die ja nur bis Juni hierbleiben würde und möglicherweise überhaupt nicht die Chance zum Unterrichten haben würde.

 

 

 

Und auch mir stellten sich weitere Fragen. Würde ich Macchu Picchu noch sehen, oder würde es über den Rest der Zeit die Pforten schließen?

 

Würde ich im August überhaupt Ausreisen können?

 

Werde ich meine Großeltern jemals wiedersehen?

 

Es ist unglaublich, wie schnell die Welt, die man kennt und für stabil und selbstverständlich gehalten hat, aus den Fugen geworfen werden kann. Wie ein Sandkorn im Getriebe ein ganzes System zusammenbrechen lassen kann und die Globalisierung eine solch monströse Ereigniskette anstoßen kann, dass selbst in einem Bergdorf wie Curahuasi die Panik ausbricht, und das, obwohl „ihr hier nicht einmal Olivenöl habt“, - wie es ein Medizinstudent mir gegenüber ausdrückte.

 

(Dabei stimmt das nicht. Wir haben Olivenöl. Es ist teuer und selten, aber es ist vorhanden.

 

Jedenfalls noch...)

 

 

 

Gleichzeitig will ich mich auch nicht ständig nur mit sinnlosen, kräftezehrenden Ängsten um eine ohnehin unbeeinflussbare Zukunft beschäftigen. Ich bin in Gottes Hand, das sind wir alle und Jesus sagt in Matthäus 6, 25: „Deshalb sage ich euch: Sorgt euch nicht um Essen und Trinken zum Leben und um Kleidung für den Körper. Das Leben ist doch wichtiger als die Nahrung und der Körper wichtiger als die Kleidung. Schaut euch die Vögel an! Sie säen nicht, sie ernten nicht und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Und ihr? Ihr seid doch viel mehr wert als diese Vögel! Wer von euch kann sich denn durch Sorgen das Leben auch nur um einen Tag verlängern? (…) Sorgt euch also nicht um das, was morgen wird. Der Tag morgen wird für sich selbst sorgen. Die Plagen von heute sind für heute genug!“

 

Das finde ich ziemlich deutlich. Es gibt mir Mut und hilft mir, alles vor ihm hinzulegen.

 

In Johannes steht außerdem: „In der Welt habt ihr Angst, doch seid getrost. Ich habe die Welt überwunden.“

 

 

 

Und mit diesen Worten möchte ich diesen Beitrag jetzt abschließen. Mit etwas Positivem und Hoffnungsvollen und nicht dieser namenlosen Angst und Unruhe, die sich in der Luft zu manifestieren scheint, wohin ich auch gehe. Gott hat uns keinen Geist der Angst gegeben, sondern einen der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

 

Besonnenheit brauchen wir in diesen Zeiten und um Besonnenheit bete ich.

 

Auch Gott wünscht sich, dass wir ihn in diesen Prozess mit hineinnehmen. Denn er ist da, dessen bin ich mir zu 100 Prozent sicher. Er hat diese Krankheit nicht geschaffen, um uns leiden zu lassen. Sie existiert als Nebenwirkung des Sterbens, das es in einer Welt gibt, die nichts mehr von ihm wissen wollte. Aber dennoch ist er hier, kennt die Angst vor dem Tod und den Tod selbst und bietet uns einen Ausweg an, der dieses Leben hier weit übersteigt und es dennoch nicht ausklammert.

 

Auch aus Leid kann er Gutes machen, das ist sein Wesen, seine Gnade und seine Güte.

 

Er hat den Tod bereits überwunden und deshalb brauchen wir keine Angst mehr davor haben.

 

Im Gegenteil: Wir können uns freuen, weil wir unwiderruflich zu ihm gehören.

 

Es braucht lediglich ein „Ja“ zu dem Geschenk der Vergebung und des ewigen Lebens, das er uns anbietet. Und Jesus verspricht uns:

 

Was ich euch hinterlasse, ist mein Frieden. Ich gebe euch einen Frieden, wie die Welt ihn nicht geben kann. (Johannes 14, 27)

 

 

 

Wie oft bin ich auf der Suche nach Frieden, Erfüllung und Ruhe, sei es durch Sport, Kunst, Musik, ein leckeres Essen, eine bewältigte Aufgabe oder einfach einen erholsamen Schlaf. Aber letztendlich ist es lediglich Gott, der die Sehnsucht in meinem Herzen stillt und mir echten, tiefen, heilsamen Frieden schenkt.

 

Trotz Corona. Wegen Corona. Während Corona.

 

Und ja, irgendwie auch durch Corona.

 

Wenn das Haus um dich herum einstürzt, zeigt sich, ob du es auf ein Fundament aus Sand, oder Fels gebaut hast. Es fordert dich heraus, zu den Wurzeln, zu Gott, zurückzukehren und dich ganz auf ihn zu verlassen. Und auf diese Weise, - so verrückt es auch klingt, - kannst du gestärkt aus einer Situation hervorgehen, weil du erkennst, dass dein Sand Treibsand ist und du vielleicht doch wieder auf den Felsen setzen solltest. Weil es dir die Chance zur Umkehr bietet.

 

Einer Umkehr zu einer völligen Abhängigkeit, die jedoch das Einzige ist, was dich wirklich rettet.

 

Und deshalb frei macht.

 

 

 

Also danke, Herr. Danke, Herr, dass du mir gezeigt hast, dass es dein Frieden ist, den ich am meisten brauche. Danke, dass das Corona-Virus nicht noch gefährlicher und seine Sterberate nicht noch höher ist. Danke, dass die Regierungen immer konsequentere Entscheidungen treffen und Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Danke, dass wir keine Angst haben brauchen, weil du uns versprochen hast, uns durchzutragen und mit allem zu versorgen, was wir benötigen. Selbst, wenn es manchmal vielleicht nicht das ist, was wir wollen.

 

Danke, Herr, dass wir Freunde und Familie haben, die uns beistehen.

 

Ein Gesundheitssystem. Trotz allem genug Nahrung und ein Dach über dem Kopf.

 

Und vor allem: Danke, dass du bereits alles getan hast, um jeden Einzelnen zu retten – und zwar in Ewigkeit. Danke, dass ich danke sagen kann.

 

Es weihnachtet sehr...

(trotz 30°C...)

 

Jaja... ich weiß. Ich bin spät dran.

 

Aber ganz weglassen wollte ich den Bericht dann doch nicht, daher kommt er jetzt. ;)

 

 

 

Wie denn so meine Feiertage waren, werde, - oder besser gesagt, wurde, - ich oft gefragt.

 

Schön, war dann meistens meine Antwort, obwohl hinter diesem einen Wort viel mehr steht, als ich in der Zeit, die mir bleibt, um eine Whatsapp-Nachricht zu verfassen, oft ausdrücken kann.

 

 

 

Wir Voluntarios (plus Lernhelfer) begannen früh damit, uns auf das Fest einzustimmen. Ein befreundetes Ehepaar, - also Matthias, der uns hier alle fern der Heimat fleißig mit leckerem Brot versorgt und seine liebenswerte Ehefrau Uta, - luden uns am 23. November zu sich zum Frühstücken und Plätzchenbacken ein. Fest entschlossen, mir von dem warmen Wetter nicht die Stimmung vermiesen zu lassen, erschien ich dazu in rotem Pulli und gestrickter Weihnachtsmütze, während im Hintergrund die ersten Weihnachtslieder liefen. Dass ich später Bauchschmerzen hatte, lag eventuell daran, dass ich es ein biisschen mit dem Naschen übertrieben habe. Andererseits bietet sich hier in Curahuasi nicht oft die Möglichkeit, Zimtsterne und Lebkuchen zu essen, sodass ich Eines ohne schlechtes Gewissen feststellen kann:

Ich bereue nichts. 

 

Anschließend saßen wir noch lange beisammen, machten gemeinsam Musik und unterhielten uns: Darüber, wie jeder einzelne von Gott dazu berufen worden war, nach Peru zu gehen und was wir bisher so mit ihm erlebt hatten. Uta und Matthias sind da meiner Meinung nach wahre Vorbilder, von denen man viel lernen kann.

 

Am nächsten Morgen stand ich in aller Frühe auf und traf mich um 6 Uhr mit Niels und Julian an der Schule. Die beiden hatten geplant, auf einen der 4000er in der Nähe zu wandern und ich hatte mich spontan dazu entschlossen, sie zu begleiten. Wir erklommen recht schnell die erste Etappe zu einem kleinen Bergdörfchen, von wo aus wir uns auf dem Kamm unseren Weg zu der „Nase“, wie die Spitze genannt wurde, selbst suchen mussten. Einen richtigen Weg gab es nicht mehr.

 

Oft bedeuteten vermeintliche Abkürzungen, dass wir uns hoffnungslos in meterhohem Gras verirrten und was für die Jungen ab und an lediglich einen etwas größeren Schritt bedeutete, stellte für mich jedes Mal eine ziemliche Herausforderung dar. Über einen Stacheldrahtzaun musste mich Julian förmlich hinüberheben. Hinzu kamen aggressive Hunde in dem Dörfchen, bei denen ich echt dachte, dass sie uns wohl zerfleischen würden, wenn wir nicht schnellstens von ihrem Feld wegkamen.

 

 

Abgesehen davon war das Ganze aber ein wunderschönes Erlebnis. Wir hatten Glück mit dem Wetter, das angenehm und nicht zu warm war und trotz einiger Wolken mehrere Male einen wunderschönen Ausblick. Wir sahen Pflanzen und Tiere, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und ich genoss es, ab etwa 3800 Meter Höhe wieder so etwas wie Nadelwald vorzufinden.

 

Wir schafften es zeitlich dann nicht bis ganz auf die Nase, sondern nur auf den Gipfel davor, da wir noch im Hellen heimkehren wollten. Doch auch dieser hatte bereits eine Höhe von über 4000 Metern, sodass wir uns damit zufriedengeben konnten. Auf unserem Rückweg riss dann auch endlich der Himmel richtig auf und der Sonnenschein begleitete uns fast bis zurück nach Curahuasi.

  

Generell war dieses Wochenende toll. Abends luden mich Matthias und Uta spontan noch auf eine Pizza ein und am Tag darauf hatten wir ebenfalls frei, was nicht nur das ersehnte Ausschlafen, sondern auch einen Freibadbesuch ermöglichte.

 

Nun gut, das widerspricht der Weihnachtsstimmung natürlich wieder ein wenig, aber Marion sorgte dafür, dass wir uns bereits am nächsten Wochenende bei ihr einfinden konnten, um noch mehr Plätzchen zu essen. Auch Christian und Verena Bigalke waren mit von der Partie und wir unterhielten uns ganz offen darüber, wie es uns damit ging, das Fest erstmals so weit entfernt von der Heimat zu verbringen. Ich persönlich hatte bisher kein Heimweh deswegen bekommen. Es fühlte sich eher so an, als würde ich ein Jahr nun einmal kein gewöhnliches Weihnachten feiern, sondern eben einfach etwas anderes. Und das war völlig in Ordnung. 

 

Nach dem gemütlichen Beisammensein machten wir uns mit mehr als gefüllten Bäuchen noch auf den Weg zu Familie Klatt. Dort sahen wir uns mit vielen weiteren Missionaren, Lehrern und Bekannten den Film „die Hütte“ auf Spanisch an. Es war ein schöner Abschluss eines tollen Tages und wieder einmal fühlte ich eine tiefe Dankbarkeit für all das, was ich hier erleben durfte.

 

 Ich probiere generell viele Dinge aus. Einen Samstag fuhr ich beispielsweise mit Moni, der Hebamme hier, auf einem Quad in das höher gelegene Bergdorf PucaPuca. Dort arbeiteten die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern auf den Feldern, kamen jedoch, als Moni von einem Hügel aus rief: „Chicos, hay Club!“, freudestrahlend von überall her angerannt. Das „Clubhaus“ ähnelte von außen eher einer heruntergekommenen Wellblechhütte, war innen allerdings liebevoll mit Weihnachtssternen, Liedtexten und Bildern gestaltet worden. Gemeinsam mit den Kindern bastelten wir Einladungskarten zur Weihnachtsfeier, spielten Spiele und sangen Weihnachtslieder.

 

In den nächsten Tagen feierten wir als Voluntarios Weihnachten, indem wir einen Filmeabend veranstalteten und wichtelten. Dazu gab es mitgebrachtes Essen von jedem und natürlich...

Bratäpfel! Solche Momente sind es, die einen dann doch an die Weihnachtsfeiern in der Schule oder unter Freunden erinnern. Und es ist seltsam, einerseits einige Menschen zu vermissen, andererseits aber kaum Zeit dazu zu haben, weil man so viele neue tolle Menschen kennengelernt hat...

 

Auch Jannas Geburtstag war ein Weiteres solcher Highlights. Dass Weihnachten hier in den Sommer fällt, hat den Vorteil, dass man unter einem völlig neuen Sternenhimmel Lagerfeuerabende mit Musik veranstalten und Unmengen an Eis essen kann, ohne sich dabei seltsam zu fühlen. Auch Peruaner waren bei dieser Feier dabei und mir gefiel es total, wie zwei Kulturen problemlos miteinander verschmolzen und wir uns alle super verstanden. Auch der Glaube ist eine unheimlich starke Verbindung. Man braucht keine Worte, um alles erklären zu können. Irgendwie ist man von vornherein eine Familie.

 

Genauso geht es mir aber auch mit den Missionarsfamilien. Um mir für eventuell geplante Reisen ein wenig Geld dazu zu verdienen, gab ich zwei Kindern einer Missionarsfamilie unter der Woche Klavierunterricht und ich ging außerdem zum ersten Mal während meiner Zeit hier in Lucmus schwimmen. Dieses Freibad wird von den Gebirgsflüssen gespeist: An der einen Seite läuft das Wasser langsam hinein und auf der anderen sofort wieder langsam hinaus. Dementsprechend kalt ist es allerdings auch und hineinzuspringen ist mitunter eine echte Überwindung. Sehr lange kann man, wenn nicht gerade die Sonne scheint, eigentlich nie im Wasser bleiben. Seltsam, in der Adventszeit ins Freibad zu gehen. Aber irgendwie auch ziemlich cool. Durch die vermehrten Regenfälle beginnt hier nun außerdem alles in den unterschiedlichsten Farben zu blühen. Sommer, eben. Auch die Tage werden länger und es wird teilweise erst um halb sieben dunkel.

 

 Wie ich es auch von meiner Schule in Deutschland gewohnt bin, sind die letzten Wochen vor den Weihnachtsferien immer bis zum Äußersten mit Programmpunkten und Festivitäten vollgestopft.

 

Da war zunächst einmal die „Noche de Gracias“. Während dieser jährlichen Veranstaltung danken Schüler und Lehrer mit einstudierten Tänzen oder Liedern Gott für alles, was er im vergangenen Jahr für sie persönlich und natürlich auch für die Schule getan hat. Während der letzten Englischstunden hatten wir des öfteren die Fenster schließen müssen, um die immer wiederkehrenden Abschnitte der Musik nicht noch einmal zu hören. Das Ergebnis ließ sich dafür aber wirklich sehen.

 

Auch der Kindergarten nahm daran teil und es war wirklich zum Dahinschmelzen niedlich, den kleinen Kindern beim Tanzen zuzusehen. Nach dem offiziellen Ende der Noche de Gracias spielte eine Lehrer-Schüler-Band noch einige Lobpreislieder und bei einem davon begannen plötzlich alle Lehrer und die Besucher, die noch dageblieben waren, miteinander im Kreis zu tanzen: Einige die Folklore, andere einfach das, was ihnen gerade in den Sinn kam. Es war ein wirklich schöner und ausgelassener Moment und ich genoss die Gemeinschaft mit den Peruanern, die uns so herzlich in ihren Kreis mit aufnahmen.

 

Ein weiterer Eintrag in meinem Terminkalender war ein selbstgeschriebenes Weihnachtsmusical und die Promocionen der Primaria und Secundaria. Diese Feste lassen sich in etwa mit unserem Abi-Ball vergleichen, nur mit dem Unterschied, dass ich bereits die Promoción der sechsten Klasse sehr viel aufwendiger fand, als unseren Abschlussball. In der ganzen Turnhalle hatte man Seidenvorhänge und Lichterketten aufgehängt, sodass es beim Betreten wirkte, als würde man eine völlig andere Welt betreten. Unterlegt wurde das Ganze von traditioneller Livemusik.

Und von den Kleidern, die die Mädchen trugen, fange ich gar nicht erst an.

Obwohl die Menschen hier mitunter nicht soo viel Geld haben, sind ihnen diese Anlässe sehr wichtig. Das kann man auch an dem Menü erkennen, das serviert wurde: Zwar erst nach allen Reden und Fotos um 22 Uhr, aber das Warten hatte sich trotzdem gelohnt. 

Ich saß während des Programms am Tisch mit den anderen Lehrern und mir wurde sogar die Ehre zuteil, einem Schüler sein Zeugnis zu überreichen.

 

Am 19. Dezember fand dann die Weihnachtsfeier in der Schule statt, in deren Rahmen wir Ausländer die Peruaner bekochten und bedienten. Wir kamen in Kostümen, - Blazer, Bluse und natürlich mit schicken Frisuren, - und ich war froh, die Sachen nicht umsonst eingepackt zu haben.

Es gab leckeres Essen, traditionelle Musik, Panetonne (diesen ekligen Kuchen mit Gelantine) und Geschenke; - sogar für uns Voluntarios. Besonders freute ich mich über eine getöpferte Tasse mit vielen kleinen Lamas darauf.

Erst im Nachhinein hörten wir, dass im Krankenhaus ausgerechnet zur Zeit der Feier einige Notfälle hereinkommen und mehrere Operationen durchgeführt werden mussten.

So viel zu besinnlichen Feiertagen. Aber auch so etwas ist eben Teil des Alltags eines Missionskrankenhauses.

 

 Und nicht nur im Krankenhaus gibt es Herausforderungen. Natürlich gehört zu vollgestopften Schulwochen auch das Noten-Eintragen, Zensuren-Ausrechnen, Tests-Kontrollieren und letzten Endes eine gehörige Portion Stress. Es gab Tage, an denen ich bis 18 Uhr in der Schule saß, um noch rechtzeitig alle Noten und eine schriftliche Bewertung in das Computer-Programm einzutippen. Irgendwie reichte die Zeit am Ende immer bis auf die Minute genau; ich benötigte nicht mehr, aber leider auch nicht weniger.

 

Gut war es deshalb, dass Christian uns vom 23. bis 26. Dezember endlich Urlaub verordnete.

Wie ich es sonst geschafft hätte, die ganzen Geschenke fertigzustellen, ist mir im Nachhinein auch nicht klar. In Deutschland fange ich damit manchmal bereits im Oktober an, doch hier lenkte mich die Sonne, die Wärme und natürlich die Arbeit erfolgreich davon ab, mich mit dem Gedanken an Weihnachten zu beschäftigen. Und so war ich dieses Mal eben... nun ja... etwas spät dran.

 

 Doch wie feiern eigentlich die Peruaner ihr Weihnachten?

 

Wie schon erwähnt gibt es in der Adventszeit heiße Schokolade und Panetonne in Massen.

Vor allem in den Kinderclubs kamen wir Voluntarios damit in Kontakt: Jedes Kind erhielt ein Geschenk und natürlich Kuchen und Kakao, den wir an die gierigen Münder und Hände verteilten.

Auch hier gibt es Tannenbäume, Weihnachtsbaumkugeln und Kerzen und bei dem traditionellen Weihnachtsessen handelt es sich um Truthahn.

 

Darüber hinaus mögen es die Peruaner allerdings, zu feiern. Bei uns ist die Vorweihnachtszeit eher eine besinnliche Zeit; hier wird getanzt, gefeiert, laut Musik gemacht und an Heiligabend mit Feuerwerk geknallt. Das Feuerwerk an Neujahr ist ein Witz dagegen.

 Bei der abschließenden Schulveranstaltung vor den Ferien kamen Clowns, Tänzer und weitere Spaßvögel. Mich erinnerte es eher an Karneval als an Weihnachten. Meine festlich geschmückte Aula in Wernigerode und die auftretenden Chöre waren da doch irgendwie eine völlig andere Sache.

 

Tja, am 26. Dezember war ich dann noch im Freibad, anschließend machten wir mit den Voluntarios Raclette und am Silvesterabend zelebrierten wir ebenfalls in einer großen Gruppe aus Missionaren und Peruanern das neue Jahr. Susi, die hier in der Schule arbeitet, hatte am selben Tag Geburtstag und so gab es ein großes Buffet, Musik, Kinderdisco und nette Gespräche. Wie schon erwähnt war das Feuerwerk um null Uhr weniger beeindruckend als das am 24. Dezember, doch es ließ sich trotzdem sehen. Wir standen draußen, blickten auf die Stadt und hatten über uns den Sternenhimmel.

„In diesem Jahr werden wir zurück nach Deutschland gehen.“, sagte Lara.

„Und zu studieren beginnen.“, ergänzte Berta.

Die Zeit schien wirklich zu rennen. Obwohl ich es kaum glauben konnte, stimmte es: Nun waren wir schon ein Vierteljahr hier.

 

Einige von euch werden es vielleicht schon mitbekommen haben, was dann folgte. 

Anstatt um 1 Uhr, nachdem wir alles aufgeräumt hatten, ins Bett zu gehen, kämpften wir alle krampfhaft gegen unsere Müdigkeit an und trafen uns um 3 Uhr wieder an dem Platz vor unserer Wohnung, ausgestattet mit Taschenlampen, Proviant, Wanderkleidung und natürlich Kaffee.

Gemeinsam wanderten wir dann in völliger Dunkelheit den Capitan Rumí hinauf, um von dort oben den Sonnenaufgang zu beobachten. Bereits gleich am Anfang des Weges erwartete uns eine Szenerie wie aus dem Horrorfilm: Von dem Grundstück neben dem Weg kamen uns plötzlich fünf riesige Hunde entgegen, die Zähne gefletscht, die Lefzen hochgezogen, die Augen lediglich reflektierende Lichtpunkte in der Finsternis. Selina berichtete mir im Nachhinein, dass ich ihre Hand wohl etwas zu fest umklammert hatte, die Biester hielten uns aber dennoch nicht davon ab, unseren Weg fortzusetzen. Nachdem wir ihnen lange genug mit den Taschenlampen in die Augen geleuchtet hatten, machten sie schließlich kehrt und ließen uns ziehen.

 

Der Rest der Wanderung verlief verhältnismäßig ruhig. Curahuasi wirkte von oben und bei Nacht irgendwie unwirklich: Umgeben von dunklen Bergzügen schmiegte sich das Dorf in die Hänge und machte einen beinahe malerischen Eindruck, - wäre da nicht die laute Musik gewesen, die uns vom Plaza de Armas bis nach ganz oben auf den Berg verfolgte.

Um etwa halb fünf waren wir dann endlich da. Da es noch recht kalt war, kuschelten wir uns in die mitgebrachten Decken und setzten uns gemeinsam auf den Felsen, der für den Rumí repräsentativ ist. Die Aussicht war in dem Licht der Dämmerung gigantisch: Man konnte bis hinunter in den Canyon sehen und je länger wir dasaßen und Loblieder sangen, desto goldener färbte sich die Natur um uns herum. Auch die schneebedeckten Gipfel der 6000er reflektierten bald das Licht der langsam emporkletternden Sonne. Vielleicht war es die Müdigkeit, vielleicht die Erschöpfung, vielleicht jedoch auch einfach dieser herrliche Anblick, der in mir das Gefühl weckte, dass das alles unmöglich echt sein könne.

Als die Sonne schließlich schon etwas höher am Himmel stand, machten Selina, Janna, Madita und ich uns gemeinsam auf den Heimweg. Auch dieses Mal winkte uns Curahuasi von weitem: Nun allerdings im Sonnenlicht des neuen Tages, - und neuen Jahres.

 

Den Rest des ersten Januars verbrachte ich abwechselnd schlafend, lesend und von der Küche zum Bad wankend. Von der Feier hatten wir uns irgendwie alle irgendetwas Magen-Darm-mäßiges eingefangen, doch auch im Nachhinein würde ich das alles noch einmal machen.

Wer kann schon von sich sagen, den Sonnenaufgang am 1. Januar in Peru von einem 3000er aus beobachtet zu haben?

 

 

Mein Resümee der Weihnachtszeit ist also Folgendes: Es war zwar anders, aber wunderschön. Bunt, lustig, laut, warm, aber sehr intensiv. Gerade weil die vielen Missionare hier getrennt von ihren Familien in Deutschland leben und es weder ablenkende Weihnachtsmärkte noch Schnee gibt, wird die eigentliche Botschaft sehr tiefgehend behandelt. Die gegenseitigen Geschenke stehen im Hintergrund, während das eine Geschenk, das Geschenk dieses großen, liebe- und hingebungsvollen Gottes ins Zentrum rückt. „Uns ist heute der Retter geboren.“ Das sagt sich so leicht daher, gerade, wenn man aus einem kirchlich geprägten Umfeld kommt. Doch was es wirklich bedeutet... Dass der höchste Gott alles aufgibt, um uns nahe sein zu können; um uns die Chance zu geben, ihm für immer nah zu sein und frei zu werden... Das ist so viel größer, als es in letzter Konsequenz wirklich vollkommen begreifen zu können.

Aber wenn man dieses eine Geschenk hat, - das durfte ich dieses Jahr erfahren, - dann braucht man eigentlich gar nichts anderes mehr.

Und vielleicht auch deswegen, weil ich während der Weihnachtszeit das Haus meiner Patenfamilie hütete, war der Dezember für mich dann doch irgendwie eine ruhige, besinnliche Zeit, in der ich trotz der vielen Termine innerlich zur Ruhe kommen konnte.

 

Es ist so, wie Jesus in Matthäus 11 gesagt hat:

 

Kommt alle her zu mir, die ihr euch abmüht und unter eurer Last leidet!

Ich werde euch Ruhe geben. 

Vertraut euch meiner Leitung an und lernt von mir, denn ich gehe behutsam mit euch um und sehe auf niemanden herab. Wenn ihr das tut, dann findet ihr Ruhe für euer Leben. 

Das Joch, das ich euch auflege, ist leicht und was ich von euch verlange, ist nicht schwer zu erfüllen.

 

Gott kämpft mit uns und gibt uns gerade dann Kraft, wenn wir sie am dringendsten brauchen.

 

Curahuasi-Alltag

In den nächsten Wochen stellte sich so langsam der Alltag ein. Ich gehe jeden Tag um 7:20 Uhr in die Schule, dann helfe ich dabei, Noten einzutragen oder den Unterricht vorzubereiten und habe entweder ab 9:45 Uhr oder erst um 14:10 meine erste Stunde.

 

Trotzdem ist es oft stressig, rechtzeitig zurück zu kommen, wenn ich zuhause so schnell, wie ich kann, etwas esse und es dann innerhalb von zehn Minuten hinunterschlingen muss. Und der Tag schlaucht: Wenn ich nach 16 Uhr noch einen Kinderclub habe, komme ich teilweise erst um halb sieben nach Hause und dann steht noch Saubermachen, Spülen, Aufräumen und ab und zu noch der gemeinsame Sport mit den Peruanern an.

 

Gerade die nächsten beiden Wochenenden, an denen wir ebenfalls arbeiten würden, sorgten dafür, dass die Tage voller wurden. Das erste Wochenende war ein sogenanntes Retiro: Ein Wochenende zum Auftanken, das die Schule für die Eltern und ihre Kinder gestaltete. Wir würden dabei das Kinderprogramm mitgestalten, weshalb wir nach Unterrichtsschluss oft noch in der Schule blieben und bastelten.

Das Wochenende selbst wurde dann allerdings ganz lustig. Obwohl wir die Lieder, zu denen wir etwas vortanzen sollten, erst wenige Male gehört hatten, schien den Kindern unser... nun ja, eher improvisiertes Programm zu gefallen und an den Spielen wie Wasserbomben-Volleyball, Sackhüpfen, Reifen-Ziehen (wie Tauziehen mit einem riesigen Gummireifen) nahmen wir zur Freude der Schüler ebenfalls teil. Auch uns als Freiwillige schweißte diese Herausforderung zusammen. Und obwohl ich oft das Gefühl hatte, mit meiner Arbeit hier ja nicht unbedingt direkt etwas zu dem Diospi-Suyana-Projekt an sich beizutragen, wurde uns nachher gesagt, wie wertvoll die Zeit für die Eltern gewesen war. Viele hatten sich eingestanden, dass es Probleme wie Alkoholismus oder Gewalt in ihren Familien gab und sich dazu entschieden, Schritte zu wagen, um tatsächlich etwas zu ändern. Ohne uns, so teilten uns die Missionare mit, wäre das nicht möglich gewesen. Am Sonntagnachmittag bekamen wir ein wenig davon mit, wie wichtig dieses Retiro wirklich gewesen war: In der Sporthalle saßen Eltern mit ihren Kindern zusammen, die Köpfe zum gemeinsamen Gebet gesenkt, teilweise den Tränen nahe.

 

Das war ein wirklich schöner und bewegender Moment für uns Voluntarios.

Dennoch gibt es Dinge wie Fußballspielen in brühender Hitze, die ich nicht unbedingt noch einmal tun muss.

 

Am Sonntagnachmittag erlebte ich dann ein weiteres Highlight: Gemeinsam mit dem Schulleiter Christian Bigalke ging ich eine kleine Runde laufen. Das an sich ist vielleicht nichts Besonderes, wohl aber die Aussicht auf dem Weg und das heranrollende Gewitter machten den Lauf zu einem einmaligen Erlebnis. Bereits als wir losliefen, spannte sich über uns eine beinahe schwarze Wolkenwand auf und während einen Schotterweg entlangjoggten, der sich an dem Berg, auf dem Curahuasi liegt, vorbeischlängelte, zuckten auf den umliegenden Gipfeln um uns herum schon die ersten Blitze. Die Stimmung war einfach unglaublich mystisch und man konnte fast bis hinunter in den Canyon des Apurímac blicken. Hinzu kam, dass wir uns echt gut unterhielten, auch wenn Christian mich jedes mal auslachte, wenn ich wegen eines weiteren Blitzes wieder einmal ein begeistertes „WOOOW“ von mir gab. (Ich sagte ziemlich oft Wow, in ziemlich kurzen Abständen.)

Auf der Hälfte der Strecke angekommen zeigte er mir dann noch eine alte Inka-Ruine und einen alten „Friedhof“, auf dem man, - wenn man die richtigen Löcher kannte, - auch Menschenschädel finden konnte.

 

Obwohl wir es recht lange geschafft hatten, dem Regen „davonzulaufen“, wurden wir auf dem Rückweg dann doch noch von ihm eingeholt. Unsere Schuhe wurden immer schwerer von dem Schlamm, der bald an ihm haftete, doch die kühlen Tropfen waren auch eine schöne Abkühlung. Ich war vermutlich noch nie so glücklich und ausgelassen durch den Regen gelaufen, so frei fühlte ich mich bei dem Blick auf diese gigantischen Gipfel rings um mich herum.

 

Das letzte Stück mussten Christian und ich dann noch eine ziemlich steile Treppe hinuntersprinten und wurden dabei von zwei Quechua-Frauen beobachtet, die fassungslos ihre Köpfe schüttelten und - das ist kein Witz! - leise „Esos Gringos...“ vor sich hinmurmelten.

Ich kann sie ja irgendwie verstehen. Zwei Weiße, die, - als hätten sie nichts Besseres zu tun, - wie Verrückte die Treppen hinunterrasen. Und das bei Platzregen und Gewitter.

Aber gerade solche Erfahrungen möchte ich um Nichts in der Welt missen und deshalb oute ich mich diesbezüglich gerne als Gringo.

 

Klitschnass und verdreckt, aber glücklich, erreichte ich schließlich wieder unser „Zuhause“, indem ich mich mittlerweile gut eingelebt habe. Wenn ich Zeit habe, male ich, um herunterzufahren und gerade dann, wenn draußen die Welt untergeht, ist es drinnen natürlich noch gemütlicher.

 

Lange hatte ich allerdings nicht Zeit, denn um 18 Uhr trafen wir uns auch schon wieder zum Hauskreis bei den Jungs. Wir aßen Nudeln und saßen dann einfach gemeinsam beisammen und tauschten uns über einen Teil aus der Bergpredigt aus. Ich liebe es, tief in einen Bibeltext einzutauchen und Gott durch sein Wort besser kennenzulernen. Jeder von uns nimmt außerdem andere Aspekte wahr, sodass man im gemeinsamen Gespräch viel lernen und mitnehmen kann. 

An solchen Wochenenden wünsche ich mir oft, dass sie nie vorbeigehen, - selbst, obwohl ich eigentlich gar nicht frei hatte.

 

Genauso verhielt es sich bei dem nächsten Wochenende: Diospi Suyana veranstaltet jedes halbe Jahr ein sogenanntes Retiro, dieses Mal für die Mitarbeiter zum Erholen und Auftanken.

Am Freitag hatten alle frei, sodass wir um zwei Uhr mit einer gemeinsamen Wanderung zum „Zuckerhut“ begannen. Das ist ein Berg, der durch seine Form aus der Ferne tatsächlich an einen Zuckerhut erinnert. Der Weg dahin war allerdings auch eine Attraktion. Ich gelangte zum ersten Mal so richtig in die Natur der Anden mit den vielen Kakteen, Wasserläufen und blühenden Bäumen. Ich sah Pflanzen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und fühlte mich plötzlich wie in einer anderen Welt. Das war so faszinierend, dass ich kaum bemerkte, wie anstrengend der Weg teilweise war und wie blutdurstig sich die Mücken auf meine Arme und Beine stürzten.

 Das größte Problem sind hier allerdings nicht einmal die Mücken, sondern oft eher kleine, hinterlistige Fliegen, die einen beißen und juckende Pusteln hinterlassen. So ein Jucken habt ihr noch nicht erlebt, glaubt mir. Man kann einfach nicht nicht kratzen.

Einmal bin ich davon nachts sogar aufgewacht.

 

Um etwa 17 Uhr trafen wir uns dann im Krankenhaus. Es gab tolles Essen, einen Gottesdienst zu Beginn und währenddessen natürlich Kinderbetreuung unsererseits. Wir hatten die verschiedenen Altersgruppen aufgeteilt, am Freitagabend sahen wir uns allerdings einfach nur einen Film mit den Kindern an. Das klingt eher weniger nach Arbeit, ich weiß, aber wir versorgten die Kids währenddessen mit Getränken und mussten uns des öfteren mal um diejenigen kümmern, die sich bei einigen Szenen ein wenig fürchteten. Dennoch genoss ich die Zeit und auch den Film, - ein Animationsstreifen über Joseph, - sehr.

Im Foyer hatte ein fleißiges Dekoteam die gewöhnliche Empfangshalle mit Lichterketten, Kerzen und viel Mühe in ein wunderschönes Café verwandelt und auch sonst waren die Krankenhausräume kaum wiederzuerkennen. Ich glaube, dass ich mich tatsächlich noch nie so wohl in einem Krankenhaus gefühlt habe. Am Samstag spielten Julian und ich mit den Ältesten Geländespiele, sangen und unterhielten uns über das Thema Daniel. Damit knüpften wir an das Motto an, das auch die Erwachsenen zur selben Zeit behandelten: Ich rufe zu meinem höchsten Gott um Hilfe und er sendet mir Beistand. Daniel in der Löwengrube, ihr wisst schon... ;)

 

Nach einem tollen Mittagessen dösten Lara, Julian und ich zunächst ein wenig in der Sonne und beobachteten die vorbeitreibenden Wolken. Dann gingen wir irgendwann in die Kapelle und machten bestimmt eineinhalb Stunden am Stück Musik. Lara hat eine unheimlich tolle Stimme, sodass die Zeit wie im Flug verging und ich mich hinterher aufgetankt und glücklich fühlte.

Es macht Spaß, Gott zu loben und er schenkt einem immer etwas zurück.

Den Nachmittag über durfte auch ich an einem Workshop teilnehmen, also bastelte ich mit einigen anderen zusammen Körbe: Einen Brotkorb für unser Haus und einen Pfannenuntersetzer aus demselben Material. Wenn man hier etwas anderes haben will, muss man kreativ sein, aber es lohnt sich.

Abends stand dann wieder ein Film auf dem Programm und auch der Abschlussgottesdienst am Sonntag war schön, - zumindest das, was wir vor dem Kinderprogramm davon mitbekamen.

 

Das ganze Retiro endete mit einem Abschiedsessen (Kassler und Sauerkraut ^^) und anschließend halfen wir noch dabei, ein wenig aufzuräumen.

Den Sonntagabend beendeten wir dann abermals mit unserem Hauskreis.

 

Die Arbeit beginnt

 

In unserer zweiten Woche begannen wir Voluntarios dann bereits, richtig zu arbeiten. Während der ersten Unterrichtsstunden saß Christian noch hinten im Raum und gab uns anschließend Feedback, doch bereits während der letzten Tage hielt er das dann anscheinend nicht mehr für nötig; was ja eigentlich ein gutes Zeichen ist. Für mich war es ein wenig schwer zu schlucken, dass Sarah als Native-Speaker den Unterricht leiten sollte, während mir Aufgaben wie die Anwesenheitsliste zugeteilt wurden. Ich hatte mich auf das Unterrichten gefreut und nun hatte ich das Gefühl, irgendwie sinnlos und überflüssig zu sein. Zwar bereitete ich den Unterricht mit vor, doch selbst meine Zuarbeit musste Sarah natürlich noch einmal komplett für sich selbst erarbeiten. Darüber hinaus wird es nach dem zehnten Mal Fragen wirklich peinlich, wenn man sich die Namen von seinen Schülern nicht merken kann und ich weiß nicht genau, ob es eine gute Basis für eine Schüler-Lehrer-Beziehung ist, wenn ich am Anfang nur diejenige bin, die umhergeht und für nicht gemachte Hausaufgaben tadelt. Oft ertappe ich mich dabei, wie ich hinten im Klassenraum sitze und mir sehnlichst wünsche, ebenfalls dort vorne an der Tafel stehen und den Stoff erklären zu können.

 

Auch die Sprachbarriere macht Sarah und mir zu schaffen. Wir unterhalten uns auch während der Unterrichtsvorbereitung nur auf Englisch und manchmal kommt es vor, dass ich etwas noch nicht beim ersten Mal verstehe und öfter nachhaken muss. Das stiehlt natürlich Zeit und raubt Nerven und auch wenn Sarah sich alle Mühe gibt, geduldig mit mir zu sein, wäre ich an ihrer Stelle bestimmt genauso frustriert, dass ich manchmal einfach nicht kapiere, was sie mir sagen will.

 

Ganz zu schweigen davon, dass ich nun den Tag über kaum Spanisch spreche, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünsche, als diese Sprache schnell zu lernen.

 

All das sind Dinge, die vielleicht nicht so laufen, wie ich es mir vorgestellt habe, andererseits ist das vielleicht gerade auch einfach etwas, das ich eben lernen muss. Möglicherweise hat Gott mich mit Absicht genau an diesen Platz gestellt, weil es nicht das „Vor Leuten stehen“ ist, das er mir beibringen will, sondern das „Im Hintergrund sein und von dort unterstützen“, während andere diese Arbeit gar nicht bemerken. Demütig sein. Wie dem auch sei, ich vertraue ihm, dass er weiß, was er da tut. Ich will helfen und bin überzeugt davon, dass ich nicht ohne Grund hier bin. Außerdem bin ich wirklich noch nicht lange hier und der anstehende Personalwechsel kann auch noch einmal viele Dinge verändern. 

 

Meine Arbeitszeiten liegen recht gleichmäßig verteilt: An drei Tagen in der Woche unterrichten Sarah und ich erst nach der Mittagspause ab um 14:15 Uhr, was bedeutet, dass ich ab 7:20 Uhr in der Schule sitze und Unterricht vorbereite und erst nach 16 Uhr nach Hause komme. Bei den Kinderclubs habe ich mich jetzt für Mittwochs (Kindergartenalter) und Freitags (die Exploradores, also die Pfadfinder) entschieden. An diesen Tagen werde ich also erst um etwa halb sieben nach Hause kommen.

 

Vermutlich wäre ich über diese Zeiten frustrierter, wenn ich dafür nicht andere Dinge unternehmen könnte: Mit Sonja morgens Fahrradfahren, zum Beispiel. Und am Mittwoch in dieser Woche sang ich im Krankenhaus in dem Musikteam für den morgendlichen Gottesdienst mit. Dennoch ist mein Tag oft sehr voll. In der einstündigen Mittagspause schaffe ich es manchmal gerade so, mir etwas zu Essen zu kochen, - und das dann auch noch so schnell wie möglich in mich hineinzuschlingen. Entspannter sind die Tage, an denen wir gesammelt zum Krankenhaus hochgehen und uns dort für das Mittagessen eintragen. Wenn kein Auto hochfährt, geht man von der Schule allerdings auch über ein halbe Stunde hin und zurück.

 

Die Hauskreise und die stille Zeit mit Gott sind es, die mich in stressigen Momenten dann durchtragen, - auch wenn ich gern mehr Zeit dafür hätte, morgens oder abends in der Bibel zu lesen. 

Als „Voluntarios“ treffen wir uns jeden Sonntagabend, um gemeinsam zu kochen, Musik zu machen und uns über Bibeltexte auszutauschen und den Hauskreis von Kesslers, also, meiner Patenfamilie, besuche ich nun ebenfalls regelmäßig.

Dennoch wünsche ich mir noch mehr Input, den ich auch verstehen kann und tiefe Gespräche über den Glauben. Gott soll der Mittelpunkt dieses Jahres sein, denn alles, was ich ohne seine Kraft tue, hat viel weniger Bestand und Bedeutung; für diese Stadt, die Menschen hier, für mich und in Ewigkeit. Davon bin ich fest überzeugt, weil ich gesehen habe, was Gott tun kann. Und das ist viel mehr als das, wozu ich selbst in der Lage bin.

 

Das Volleyball- und Fußballspielen gehören weiterhin zu einem festen Bestandteil unserer Wochen hier und ich liebe es, mich abends gemeinsam mit den anderen noch einmal auszupowern und so, ohne groß darüber nachzudenken, viele Gedanken und Sorgen abschütteln zu können.

Und: Wer hätte es gedacht? Ich treffe in Volleyball ab und an nun tatsächlich auch mal ein paar Bälle.

 

 

 

Unsere erste Arbeitswoche war des weiteren noch ein wenig besonders, weil es für alle Neuen jeden Nachmittag einen Teil einer Workshop-Reihe gab. Dazu zählten Themen wie Sicherheit und Organisatorisches, aber auch speziell die Kultur der Quechua, die vielen Gemeinden hier oder Parasiten wie Flöhe und natürlich (uääh) Würmer.

 

Auch über die Art und Weise unserer Einarbeitung kann ich mich in keinster Weise beschweren.

 

Der Schuldirektor Christian war vor allem unseretwegen für vier Wochen nach Peru gekommen und hatte sich, obwohl er in dieser Zeit ein unheimliches Arbeitspensum hatte, jeden Tag mehrere Stunden Zeit für uns genommen, um uns alles zu erklären. Niemand erwartete am Anfang zu viel von uns und ich hatte eher das Gefühl, dass jeder unheimlich verständnisvoll war, wenn etwas einmal nicht so gut funktionierte.

 

Was mich sowohl in der Schule als auch im Krankenhaus sehr beeindruckte, war die Tatsache, dass es unter den Mitarbeitern sehr viel mehr Peruaner als Deutsche gab. Das galt sowohl für die Lehrer als auch für die Ärzte. Beide Nationen arbeiteten hier , – teilweise natürlich auch mit Niederländern, Schweizern und Amerikanern zusammen, - Hand in Hand und viele der Angestellten stammten sogar aus Curahuasi selbst. 

 

Das HIGHLIGHT DER WOCHE bildete dann das Wochenende. Gemeinsam mit Steven, der im Krankenhaus für das Netzwerk zuständig war, und Christian erklommen alle Kurzzeitler und Voluntarios gemeinsam den „Capitán San Cristobál“, oder auch „den Hausberg“ von Curahuasi.

 

Dazu trafen wir uns um 7 Uhr morgens an der Schule und machten uns anschließend auf den Weg bergauf... und zwar steil bergauf. Vor allem in dieser Höhe war das Klettern eine Herausforderung. Es erinnerte mich an die Alpenwanderung, die ich nach meinem Abitur mit Hanna und unseren beiden Vätern gemacht hatte, nur, dass wir dieses Mal etwas schneller unterwegs waren.

 

Oben angekommen hatte sich die Anstrengung jedoch auf jeden Fall gelohnt. Die Aussicht auf Curahuasi aber auch in den Canyon auf der anderen Seite des Capitáns war einfach grandios. Die letzten Nebelschwaden hüllten die zerklüfteten Berggipfel ein und verliehen dem gesamten Panorama eine noch mystischere Stimmung.

 

 

Den Abstieg bewältigten wir mit einem Umweg auf den Nachbargipfel. Dort gab es einen riesigen Stein, auf dem man hinunterrutschen konnte und wir hörten auf einem Felsen eine Andacht, auf dessen anderer Seite es hunderte Meter in die Tiefe ging.

 

Auf dem Rückweg unterhielt ich mich viel mit Jonathan, Julian und vor allem Lara. Wie sich herausstellte, waren wir gemeinsam auf dem BUJU gewesen, sie hatte ebenfalls beim GJW mitgearbeitet und auch sonst teilten wir viele gemeinsame Interessen wie beispielsweise den Gesang. Lara war quirlig, voller Energie, von Gott begeistert und gleichzeitig sehr klug, tiefgründig und großherzig. So jemand wie sie hatte in unserer Gruppe noch gefehlt und ich dankte Gott bereits an diesem ersten Samstag dafür, dass er sie hergeschickt hatte.

 

Um ungefähr halb eins kamen wir dann wieder bei Christian zuhause an. Dort saßen wir in einem wunderschönen Garten und genossen nicht nur den Sonnenschein, sondern auch das gemeinsame Grillen. Und nach so einer Anstrengung schmeckt das Essen gleich immer doppelt so gut.

 

Ich nutzte den Tag, um mich von dem Stress der Woche zu erholen: Indem ich mit den anderen Cappuccino trank und mich über alles Mögliche unterhielt, oder indem ich einfach nur in einer der vielen Hängematten vor mich hinschaukelte und ein Buch von C.S. Lewis las, das ich mir von Steven ausgeliehen hatte. Nichts tun müssen. Sein zu dürfen... Das war wirklich ein tolles Gefühl.

 

Den Sonntag verbrachten wir Voluntarios ebenfalls zusammen: Nach dem gemeinsamen Gottesdienst gingen wir miteinander im D'Leos essen und trafen uns abends noch bei Madita und Berta zum gemeinsamen Hauskreis. Dieses Mal redeten wir über den zweiten Teil von Jesaja 40 und auch dieser Text hinterließ bei mir großen Eindruck. Ich liebe es einfach, Gott durch sein Wort besser kennenzulernen und gleichzeitig wissen zu dürfen, dass es nicht auf mich oder mein Können ankommt.

 

Achja und der SCHOCK DER WOCHE: Flöhe. Die Kinder hier haben Flöhe. 

Dass man als Europäer nicht über so etwas nachdenkt, ist logisch. 

Dass sie trotzdem unangenehm sind, wird einem dann klar, wenn man am ganzen Bein zerstochen ist und seine Kleidung und Bettwäsche 24 Stunden lang im Wasser einlegen muss. 

Aber ganz ehrlich: Auch an so etwas gewöhnt man sich irgendwie.

Die erste Woche in Curahuasi

 

Der Flug von Lima nach Cusco verlief... „turbulent“.

 

Ich hatte einen Fensterplatz erwischt und deshalb das Privileg, während der Reise die verschneiten und zerklüfteten Gipfel der Anden zu betrachten, die teilweise durch die Wolkendecke hindurch zu uns emporragten. Die gigantischsten von ihnen waren über 6000 Meter hoch.

 

Das ganze Staunen hielt mich leider allerdings nicht davon ob, mich bei jedem stärkeren Ruckeln unwillkürlich an meinem Sitz festzuklammern. Trotz des morgendlichen Stresses hatte ich dem Flug recht unaufgeregt entgegengesehen und während des Starts schon gedacht, dass ich mich nun wohl endlich daran gewöhnen würde. Da es bewölkt und windig war, mussten die Fluggäste allerdings während nahezu des gesamten Fluges angeschnallt bleiben. Auf diese Art zu reisen war ich nicht vorbereitet gewesen. Umso dankbarer bin ich dafür im Nachhinein für den ruhigen Hinflug. Den Flug nach Cusco mal 8... Das hätte ich wirklich nur unter Qualen durchgestanden.

 

Zweitens verstand ich auf diesem Flug allerdings eine Sache: Ich hatte eine Wahl.

 

Ich war der Angst – egal, ob es nun um das Fliegen ging, oder nicht, - nicht völlig ausgeliefert.

 

Ich konnte mich, - in dem Wissen, dass es ohnehin nichts änderte, ob ich mich nun fürchtete oder nicht, - dafür entscheiden, Gott zu vertrauen und loszulassen. Das war wirklich Trainingssache und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass es mir auf dem Flug nach Cusco perfekt gelang, doch es gab tatsächlich Momente, in denen ich es schaffte, ruhig zu bleiben und tief durchzuatmen. 

In Cusco erwartete uns dann allerdings gleich die nächste Herausforderung: Die dünne Luft.

Wenn man von 0 Metern über dem Meeresspiegel plötzlich auf eine Höhe von über 3000 Metern katapultiert wird, dann merkt man das. Unabhängig davon, wie gut man in Form ist, erwischt es wohl jeden Menschen anders. Ich persönlich hatte mit einem Mal einfach das Gefühl, mich nur noch sehr viel langsamer als sonst fortbewegen zu können. Stellt euch vor, ihr habt eine Strecke von etwa fünf Kilometern so schnell wie möglich hinter euch gelegt und geht danach einige Meter aus, um eure Atmung zu normalisieren. So in etwa fühlte ich mich, nur, dass mir leider das elektrisierende Adrenalin fehlte. Andererseits kann es natürlich auch an dem aufregenden Flug gelegen haben, dass meine Beine zitterten.

 

Dieses Mal klappte, zumindest was die Suche nach unserem Taxifahrer anging, glücklicherweise alles reibungslos. Der Peruaner schnallte unsere Koffer auf das Autodach (nein, das ist kein Witz, man beachte das Foto) und los ging es: So schnell wie es ging die Serpentinen in den Anden entlang. Möglicherweise hätte ich die Fahrt noch mehr genießen können, wenn direkt neben meinem Ohr nicht ein Radio in Dauerschleife dasselbe unerträglich hohe Lied abgespielt hätte oder wenn sich neben mir nicht eine Mitreisende übergeben hätte, doch der grandiose Ausblick war auch so beeindruckend genug. Die Sonne schien und obwohl wir alle seit halb fünf auf den Beinen waren und bisher nur wenig gegessen hatten, hielt mich die Aussicht davon ab, ein bisschen vor mich hin zu dösen. Na gut, die Aussicht und eventuell das nervige Radio.  

 

Je näher wir Diospi Suyana kamen, desto faszinierender wurde die Landschaft. Die Anden besitzen eine wilde, raue Schönheit. In tiefen Canyons sprudeln reißende Gebirgsflüsse dahin und die steinigen Felsen sind nur ab und an von einigen Gräsern oder kleineren Sträuchern besiedelt. Jenseits der Straße befinden sich ab und an links und rechts ein paar Felder, Weiden oder Palmen, meistens gibt es daneben jedoch... richtig: Nichts. Oft geht es steil in die Tiefe und ich hoffe wirklich, dass die Taxifahrer hier nicht betrunken hinter das Lenkrad steigen.

 

Nach zweieinhalb Stunden erreichten wir dann schließlich gegen ungefähr zwei Uhr nachmittags das Bergdorf Curahuasi. Der Fahrer hielt an einem – im Gegensatz zu der Umgebung – recht modern anmutenden Haus an. Kaum war der Motor abgestellt, öffnete sich auch schon eine königsblau lackierte Tür und Marion trat heraus. Wie sie uns bereits per E-Mail mitgeteilt hatte, war sie für das „Membercare“ verantwortlich und kümmerte sich deshalb in den ersten Tagen auch um uns Voluntarios. Da wir recht ausgehungert waren, war uns die Tatsache, dass der Koch „leider“ viel zu viel Suppe gekocht hatte, gerade recht und wir schlangen Nudeln, selbstgebackenes Brot (wer hätte gedacht, dass das hier noch leckerer ist als in Deutschland?) und Nachtisch in Form von Doktor-Oetker-Pudding gierig in uns hinein.

 

Das Haus, in dem auch die meisten der Kinderclubs stattfinden, war geräumig, hell und gemütlich. Vor allem Marion scheint hier ein Händchen für Dekoration zu haben, sodass wir uns in ihrem Wohnzimmer gleich herzlich willkommen und sehr wohl fühlten. Während des Essens sprachen wir über unsere Anreise, aber bereits auch über ein paar Dinge, die in den nächsten Tagen anstehen würden: Unsere Patenfamilien treffen, die Einführungswoche an unseren Arbeitsplätzen und weitere organisatorische Fragen. Ich hörte zwar so gut wie möglich zu, konnte allerdings auch nicht verhindern, dass mein Blick ständig zu den Fenstern wanderte. Dort stand nämlich der Hausberg in Flammen. Bereits aus der Ferne hatten wir die dunklen Rauchwolken gesehen. Zum Anfang des Trimesters hatten die Schüler und ihre Familien großflächige Felder in Brand gesetzt, sodass man von weitem die Buchstaben der Schule leuchten sehen konnte. Brände waren hier anscheinend normal und schienen niemanden besonders in Besorgnis zu versetzen. Begeistert waren viele der Einwohner wohl allerdings auch nicht.

 

Nach solchen und anderen Informationen folgten wir ihr unserer netten Gastgeberin frisch gestärkt aus dem Haus hinaus ins Dorf. Dort zeigte sie uns die Markthallen, in denen man an allen Tagen der Woche (außer Sonntag) Obst, Gemüse und Fleisch (darunter auch Schweineköpfe im Ganzen) erwerben konnte. Danach führte sie uns in den Wayra, einen Laden, in dem man Dinge kaufen konnte, mit denen ich hier nie gerechnet hätte: Mandelmilch, Doritos, Colgate, Head & Shoulders und Gewürzmischungen etwa, die nicht einmal in Deutschland jeder Laden anbietet. Obwohl es Dinge wie Oreos in jeglichen erdenklichen Sorten in Hülle und Fülle gab, sind andere Dinge allerdings recht rar: Käseaufschnitt beispielsweise, Brot, - vor allem ungesüßtes -, oder Wurstbelag. Was das Fleisch angeht, so erzählte uns Marion, sollte man hier in Curahuasi allerdings recht vorsichtig sein. Schweine haben hier des Öfteren den gefürchteten „Schweinebandwarum“ und generell sieht es mit der Hygiene auf den Märkten wohl nicht immer so aus, wie wir es in Deutschland gewohnt sind. Abgepackte Produkte kann man dagegen wohl recht gut kaufen.

 

Das zweite, was uns auffiel, waren die Preise: Einige Produkte wie Milch oder Haferflocken haben umgerechnet ähnliche Preise wie in Deutschland, meistens sind die Sachen allerdings viel günstiger. In den Markthallen bekommt man ein Kilogramm Kartoffeln für umgerechnet 50 Cent und für eine Avocado, die hier übrigens viel leckerer schmeckt als in Deutschland, - bezahlt man etwa 27 Cent das Stück.

Nachdem wir uns für den Abend und den nächsten Morgen mit dem Nötigsten eingedeckt hatten, zeigte Marion uns noch, wo sich „Caja Cusco“, also der einzige (meistens) funktionierende Geldautomat befand. In Curahuasi wird es – wie überall in Peru – recht schnell dunkel. Während sich um etwa dreiviertel Sechs gerade einmal die ersten Anzeichen der Dämmerung erkennen ließen, war es um etwa fünf nach sechs bereits stockdunkel.

 

Die Mietwohnung, in der wir das nächste Jahr verbringen würden, konnten wir uns so also zunächst nur im Dunkeln ansehen, doch auch bei elektrischem Licht war absehbar, dass das Haus zwar noch etwas kahl eingerichtet war, mit ein bisschen Dekoration allerdings das Potenzial besaß, ein wirklich gemütliches Zuhause zu werden. Die Wände hatten unsere Vermieter frisch gestrichen und was uns am meisten verblüffte, war die voll ausgestattete Küche samt Handrührgerät, Wasserkocher, Kühlschrank, Wasserfilter, Sandwichtoaster, dutzenden Töpfen, Pfannen und Gasherd. Lediglich die Spülmaschine fehlte, aber das wäre dann auch wirklich zu viel des Guten gewesen. Zusätzlich zu der zweiteiligen Küche besaß die Wohnung zwei Bäder, drei Einzelzimmer, wovon eines an einen gemütlichen Aufenthaltsraum angrenzte und eine Veranda.

Auch eine Waschmaschine gab es, allerdings nur mit kaltem Wasser. Nur die Duschen funktionierten mit erwärmtem Wasser. Wenn wir dieses bräuchten, so sollten wir es einfach mit einer elektrisch betriebenen Pumpe fördern. Daran, diese rechtzeitig an- und auszuschalten, würden wir uns wohl einfach gewöhnen müssen. 

 

In unserer neuen Küche nahmen wir unser erstes gemeinsames Abendbrot zu uns. Marion hatte uns netterweise ein paar Ciabattabrötchen gekauft und der Frischkäse, den wir im Wayra gefunden hatten, schmeckte sogar noch besser als der Deutsche.

Wir waren zwar alle noch ein wenig erkältet, wurden in dem Essenraum aber auffällig oft von starken Hustenanfällen geplagt. Wir waren uns dabei nicht so ganz sicher, um es sich um das hartnäckige Instektenpestizid Matatodo („tötet Alles“) oder um Schimmel handelte, den unsere Vermieter möglicherweise einfach überstrichen hatten. Aber darum konnten wir uns auch die nächsten Tage noch kümmern. Die hohe Luft hier in den Bergen und natürlich die anstrengende Reise sorgte dafür, dass wir bereits um halb neun todmüde in unsere frisch bezogenen Betten fielen.

 

Am Sonntagmorgen zeigte uns ein Mitarbeiter aus der Schule um halb acht den Markt, der jeden Sonntag nicht in den Markthallen sondern auf den Marktstraßen stattfand. Dorthin brachten die Quechuafrauen aus den umliegenden Bergdörfern ihre selbst geernteten Produkte und verkauften sie für Preise, die für uns in Europa unvorstellbar sind. Viele der Früchte hatten wir noch nie oder zumindest selten gesehen: Verschiedene Wurzelsorten, frische Gewürzmischungen, die Sternfrucht, Kochbananen, Papaya, Maracuja, Chuca oder die sogenannte Vanillefrucht. Und die Auswahl würde zur Regenzeit noch sehr viel größer werden. Gleichzeitig, so erzählte uns Jonathan, musste man aber darauf achten, nach dem Einkauf gründlich die Finger zu desinfizieren, da sämtliches Gemüse mit Baktieren, Wurmeiern oder Pestiziden verseucht waren. Vor dem Zubereiten und Essen war es daher ratsam, das Essen mit Mischungen wie „Chlorox“ zu desinfizieren.

 

Wir kauften Süßkartoffeln, Tomaten, Gurke, Brokkoli, Bananen und Gewürze und besuchten, nachdem wir unsere Einkäufe nach Hause gebracht hatten, unseren ersten peruanischen Gottesdienst. Er fand in einem halbfertigen Gebäude und damit an der frischen Luft statt.

 

Ich verstand erstaunlich viel von dem, was gesagt wurde. Auch viele der Lobpreislieder, die ich bereits aus dem Deutschen oder Englischen kannte, wurden hier einfach auf Spanisch gesungen.

 

Nach Lobpreis und Abendmahl gab es eine Pause, in der man etwas Essen und mit den Leuten ins Gespräch kommen konnte.´Wir unterhielten uns mit einigen Peruanern, aber auch mit einigen deutschen Missionaren sowie einer ehemaligen Freiwilligen. Erst dann folgte die Predigt, sodass der gesamte Gottesdienst erst um halb zwölf zu Ende war. Da alles so neu und aufregend war – und ich tatsächlich auch etwas verstanden hatte, - empfand ich das allerdings überhaupt nicht als schlimm.

 

Wie in Peru anscheinend jeden Tag schien die Sonne und über einen sanft blauen Himmel zogen nur ab und an ein paar Wolkenfetzen. Noch herrschte Trockenzeit und dementsprechend staubig war auch die Gegend. Die Temperatur war allerdings höher als in Lima und ich war dankbar dafür, dem deutschen Herbst entkommen zu sein, bevor der so richtig angefangen hatte. So war ich vom deutschen Spätsommer in den peruanischen Frühling geraten, sodass die Temperatur sich nur wenig änderte und die Anpassung recht unkompliziert war. Nur mit der Zeit hatte ich immer noch Probleme. Trotz des anstrengenden Vortages war ich bereits lange vor sechs Uhr morgens aufgewacht und hoffte, dass sich das in den nächsten Tagen ändern würde.

 

 

 

Nach dem Gottesdienst führte uns Marion ins „D'Leo's“, ein Restaurant, in welchem man für 5 Soles, - also umgerechnet etwa 1,30€, - eine Vorsuppe, ein Hauptgericht und ein Hausgetränk serviert bekam. Die Gerichte sollten hier im Gegensatz zu anderen Restaurants gut bekömmlich sein. Trotzdem bestellte ich die Suppe aufgrund der Empfehlung eines recht jungen europäischen Missionarsehepaars ohne das Huhn, was sich anschließend als die richtige Entscheidung herausstellen sollte: In den Tellern der anderen schwammen noch ganze Hühnerfüße, - samt Krallen.

 

Ansonsten war das Essen allerdings sehr lecker. Die Peruaner essen viel Reis und Kartoffeln, anscheinend wohl auch gerne zusammen. Bei dem hier sehr beliebten „Lomo Saltado“ wird zu dem Reis eine Beilage aus Ofengemüse serviert, darunter Zwiebeln, Paprika, Tomaten – und eben auch Kartoffelspalten. Mit der Zeit gewöhnt man sich allerdings an alles und nicht ohne Grund gibt es Fachleute, die die peruanische Küche hinter der französischen als die Beste der Welt ansehen.

 

Gut gestärkt machten wir uns gegen drei Uhr nachmittags gemeinsam mit dem Schuldirektor Christian Bigalke auf den Weg zu dem Ehepaar, das mich in dem Restaurant bereits vor der Hühnersuppe gewarnt hatte. In ihrem großen und gemütlichen Haus mit einem tollen Garten veranstalteten sie ein Treffen für alle neuen Voluntarios und ihre Patenfamilien. Es gab Kuchen, Kekse und natürlich Kaffee und ich freute mich sehr, auch die Familie, die mir zugeordnet worden war, kennenlernen zu dürfen.

 

Mit Werner und Sonja verstand ich mich gleich recht gut, die meiste Zeit verbrachte ich an diesem Nachmittag jedoch mit den kleinen Kindern der Missionare. Unsere Gastgeber besaßen ein Trampolin, auf dem wir gemeinsam herumtobten. Ob es an der Luft lag, oder daran, dass zeitweise drei Kinder auf mir lagen, weiß ich im Nachhinein nicht mehr so genau, jedenfalls war ich am Ende fix und fertig, - aber auch glücklich. Wir waren zwar erst seit nicht einmal zwei Tagen hier und dennoch fühlte ich mich in der herzlichen Atmosphäre gleich von diesen Menschen willkommen geheißen und freute mich auf die gemeinsame Zeit, die wir in Zukunft haben würden. 

 

 

Am Montag führte uns Marion dann zum ersten Mal zum berühmten Missionskrankenhaus. Dazu mussten wir einen Berg erklimmen, da „Diospi Suyana“ etwas oberhalb von Curahuasi lag. Normalerweise habe ich ausdauertechnisch eher wenig Probleme, aber in einer Höhe von 2650 Metern merkt man den Unterschied am Anfang natürlich trotzdem.

 

Nach dem täglichen morgendlichen Gottesdienst führte uns eine freundliche Mitarbeiterin nach einer kurzen Einführung durch die einzelnen Bereiche: An dem Traumazentrum und Kreissaal vorbei durch die Notaufnahme, in verschiedene Labore, die Augenklinik und die Zahnklinik. Sogar einen Computertomographen hatte die Firma Siemens gespendet, was das Krankenhaus zu einem der modernsten Perus machte. Aber auch die Wäscherei und Schneiderei, das angrenzende Amphitheater und die verschiedenen Lagerhallen durften wir besichtigen.

 

Einige Aspekte der Führung blieben wirklich hängen. Zum Beispiel fand ich es sehr interessant, dass die Peruaner wohl fast alle die seltene Blutgruppe 0 besaßen, sodass viele bereitwillig selbst das Blut spendeten, das die europäischen Missionare oft gar nicht zur Verfügung stellen konnten.

 

Nach der Führung aßen wir in der Krankenhausküche für 4 Soles, also umgerechnet etwa einen Euro zu Mittag und ich muss sagen, dass das Essen wirklich viel besser schmeckte, als ich es erwartet hätte. Viele Mitarbeiter, die eigentlich in der Schule angestellt waren, fuhren wohl in Fahrgemeinschaften fast jeden Mittag ins Krankenhaus hoch, um dort das günstige und reichhaltige Mittagessen genießen zu können.

 

 

 

Nach unserer Führung hatten wir noch einmal etwas Zeit, um uns einzuleben und die Gegend zu erkunden. Dazu trafen wir uns bei den Jungs auf der Dachterasse, von der man einen grandiosen Ausblick über das Dorf und die Umgebung hatte und Abends besuchten wir nach einem gemeinsamen Pizzaessen noch das Volleyball-Angebot in dem „gimnasio“ des Colegios. Hier spielten Ausländer mit Einheimischen in bunt gemischten Teams. Sport ist immer eine tolle Gelegenheit, sprachliche Grenzen zu überwinden und mit Leuten in Kontakt zu kommen. Während man hin und her passt, ist es letztendlich egal, wie viele Vokabeln man kann, solange man nur gemeinsam auf ein Ziel hinarbeitet. Was das betrifft, war ich gleichzeitig aber auch sehr froh, dass die Leute gnädig mit mir waren. Ich persönlich hätte mich längst als Behinderung des gesamten Teams vom Platz gestellt.

 

Das Spiel endete erst um neun, sodass wir an diesem Tag nicht so früh ins Bett kamen. Dennoch hatte ich am frühen Morgen, - bis ich mich umgewöhnt habe, wird es wohl noch etwas dauern, - das Gefühl, genug Kraft für den kommenden Tag gesammelt zu haben. Da ich auf eigenen Wunsch zunächst in der Schule eingeteilt bin, trafen wir uns dort bereits um viertel nach Sieben zur Lehrerandacht und anschließend zu dem Gottesdienst, mit dem für die Schüler der unteren Klassen in der geräumigen Turnhalle. Anschließend gab es eine Besprechung mit dem Schulleiter Christian, der uns das Programm für die nächsten Tage erklärte: In der ersten Woche würden wir zunächst rotieren und in verschiedenen Unterrichtsfächern und dem Kindergarten hospitieren, sowie bereits die ersten Unterrichtseinheiten für die kommende Woche vorbereiten, wenn wir uns entschieden hatten, welche Bereiche wir übernehmen wollten. Dann würde es nämlich so richtig losgehen! Die Art und Weise, wie wir Freiwilligen hier eingesetzt werden würden, überraschte mich. Als Lehrerin für Englisch von der fünften bis zur elften Klasse würde ich nicht nur Unterricht vorbereiten und halten, sondern auch Tests erstellen, Noten eintragen und beispielsweise die Mitarbeit bewerten.

 

So wie eine richtige Lehrerin, eben.

 

Allerdings würde ich mir die Arbeit mit Sarah, einem fünfundzwanzig jährigen Mädchen aus den USA teilen. Als Native Speaker hatte sie natürlich einen großen Vorteil und ich, da sie auch fließend Spanisch sprach – für die ersten Wochen eine tolle Übersetzungshilfe an meiner Seite.

 

 

Da dieser Artikel nun schon ziemlich lang ist, will ich kurz zusammenfassen, was in meiner ersten Woche hier noch alles geschah: Am Dienstag besuchten wir zu dritt einen der Kinderclubs. In zweien müssen wir pflichtgemäß teilnehmen und uns mit unseren Ideen und Talenten einbringen und diese Woche ging es zuerst einmal darum, sich einen Überblick zu machen. Den Tag darauf ging ich mit Jonathan und Selina am Mittwochabend Fußballspielen. Im Dunkeln spielten wir auf einem Kunstrasenplatz mit Flutlicht mit Deutschen, Amerikanern und Peruanern. Das war eine tolle Erfahrung und da ich Fußball liebe, hatte ich auch schnell das Gefühl, ein fester Bestandteil der einzelnen Teams zu sein.

 

Lediglich ab und zu merkte ich noch, dass der geringere Sauerstoffanteil der Luft dafür sorgte, dass ich wesentlich schneller erschöpft war, als ich es von Deutschland gewohnt war.

 

Am Donnerstag besuchte ich den Hauskreis meiner Patenfamilie. Nach einem leckeren Abendessen sangen wir gemeinsam Lieder und beteten füreinander. Mein Tag war allerdings recht lang gewesen: Gerade in unserer ersten Woche besuchte ein Filmteam aus Berlin Diospi Suyana und dafür hatten wir nach einem langen Arbeitstag alle zum Krankenhaus kommen müssen um ein gemeinsames Foto zu schießen. Wieder unten im Colegio angekommen, hatten wir gleich die Aufgabe, bis sechs Uhr abends die Kinder der Lehrer zu bespaßen, die gerade eine Besprechung hatten. Tja, und um sechs Uhr begann dann auch schon der Hauskreis. Die Mittagshitze hatte mich darüber hinaus ebenfalls ziemlich geschlaucht. So kam es, dass ich, als ich um zehn Uhr abends nach Hause kam, eigentlich todmüde ins Bett fallen wollte, zunächst allerdings erst einmal eine große Spinne erschlagen musste, die in einem günstigen Moment in mein Zimmer geschlüpft war. Da hier die meisten Spinnen giftig sind, waren wir dazu angehalten worden, sie alle zu töten und ich war mir auch nicht sicher, ob es sich bei meinem Exemplar nicht etwa um eine schwarze Witwe handelte. Während Selina und ich noch panisch hin und her überlegten, ob man in so einem Fall die Koffer umdrehen und die Spinne suchen durfte, oder ob man sie dadurch nicht eher agressiv machte, spazierte Janna seelenruhig in mein Zimmer, drehte mein Gepäck um und schlug auf die Spinne ein, bis sie sich nicht mehr bewegte.

 

Hatte ich auf den Seminaren vielleicht noch daran gezweifelt, dass die Kombination, in der wir zusammenwohnten, immer einfach werden würde, begann ich nun langsam zu begreifen, wie perfekt wir uns ergänzten. In diesem Moment war ich Gott einfach nur dankbar für seine Führung.

 

Am Freitag war ich dann allerdings so müde, dass ich selbst die morgendliche Parade samt Marschieren, Nationalhymne und Fahnehissen nicht so recht genießen konnte.

 

Mittags nach der Arbeit legte ich mich deshalb nur noch einmal „kurz“ hin und wachte erst auf, als der Kinderclub, den ich eigentlich hatte besuchen wollen, schon begonnen hatte. Tja, so etwas muss manchmal aber auch einfach mal sein.

 

 

 

Am Samstag traf ich mich am Morgen mit Sonja zum Fahrradfahren. Vor allem in dieser Höhe war das anfangs echt anstrengend, doch als wir ein gutes Stück des San Cristobals, also des Hausberges von Curahuasi hinaufgefahren waren, war die Aussicht, die sich uns bot, die Mühe alle Mal wert.

 

Nach einer ausgiebigen Dusche ging es dann mit Werner, Sonja und ihrer kleinen Tochter Johanna in die Stadt. Die Familie zeigte mir, wo man seine Wasser- und Stromrechnungen bezahlen musste, wo man die Diospi-Suyana-Sachen bestellen konnte und wo es die besten „Librerias“ (erstaunlich gut sortierte Schreibwarengeschäfte) gab. Gemeinsam besuchten wir die obere Etage der Markthallen, von der aus man einen tollen Blick auf dieses so völlig fremde und andersartige Gewimmel hatte. Während wir einige Einkäufe tätigten, beschwerte sich eine Quechua-Frau bei Werner darüber, dass er ihr einen falschen Zehner gegeben hatte. Und tatsächlich: Als wir ihn zur Bank brachten, stellte sich heraus, dass das Wasserzeichen zwar vorhanden, aber ein wenig kleiner war als gewöhnlich. Wer immer der Fälscher gewesen war: Er war ein Meister seines Faches. Nach dieser Aufregung luden sie mich noch zum Mittagessen ins D'leos ein, wo ich zum zweiten Mal das „Lomo Saltado“ bestellte. Alles in allem war es ein wirklich schöner Tag mit tollen Gesprächen über unsere Interessen, Meinungen aber auch unseren Glauben.

 

Im Haus meiner Patenfamilie hatte ich außerdem WLAN und endlich einmal die Möglichkeit, einen Blogartikel hochzuladen. Abends kamen noch die anderen Voluntarios zum Kochen, gemeinsamen Essen und Liedersingen zusammen. Mir sind die gemeinsamen Lobpreiszeiten und Gebete sehr wichtig, da sie auf einer tiefen Ebene neue Energie, Kraft und Freude schenken können.

 

Gott ist es, der uns stärkt und ihn gemeinsam zu ehren, verbindet uns.

 

 

 

Tja, das war meine erste Woche hier in Curahuasi und ich habe mir überlegt,

für jede Woche ein

 

HIGHLIGHT DER WOCHE

und einen

(KULTUR-)SCHOCK DER WOCHE einzubauen.

 

 

Ab und an vielleicht auch das ausgefallenste Gericht, das ich gegessen habe, mal sehen.

 

HIGHLIGHT DER WOCHE

 

Die HIGHLIGHTS DER WOCHE waren jedenfalls, - entscheiden kann ich mich da nämlich nicht so ganz– das Fußballspielen, die Führung im Krankenhaus, die Zeit im Kinderclub, das Fahrradfahren und generell der Samstag mit meiner Patenfamilie und einfach die gemeinsame Zeit in unserem Voluntarios-Hauskreis.

 

Schock der Woche

 

Der SCHOCK DER WOCHE war ein riesiger roter Fleck, den ich am Samstagabend plötzlich an meinem Bein bemerkte. Obwohl ich eigentlich nur schlafen wollte, fragte ich über Whatsapp ein paar Leute um Rat und fuhr auf den Rat einer Ärztin hin schließlich noch in die Notaufnahme, um abzuchecken, um es sich nicht doch um einen Spinnenbiss handelte.

 

Was es nun letztendlich war; - der Biss einer kleinen Hausspinne, auf den ich allergisch reagierte, oder doch nur ein riesiger blauer Fleck, ist unklar: Aber schlimm war es auf jeden Fall nicht; ich lebe noch und jetzt weiß ich immerhin, was ich tun muss, wenn wirklich mal ein Notfall passiert.

 

Sonja war diesbezüglich wirklich toll: Mitten in der Nacht holte sie mich noch mit dem Auto ab und brachte mich ins Krankenhaus. Ich bin Gott wirklich dankbar, dass ich sie und Werner als Ansprechpartner an die Seite gestellt bekommen habe.

 

Generell kann man von den vielen Missionaren hier unheimlich viel lernen und ich bin jetzt schon gespannt, was ich von dem Jahr mitnehmen werde.