Eindrücke aus Lima

1. Oktober, 8:30 Uhr

 

Ich bin halbwach und nach einem „letzten“ gemeinsamen Frühstück mit meiner Familie dabei, die Sachen, die noch fehlen, in meine Koffer zu packen. Ja, ich bin früh dran, ich weiß. Aber irgendwie ist die letzten Tage immer etwas dazwischengekommen. Gerade, wenn ich endlich einmal eine Idee hatte, wo ich eine Sache möglichst platzsparend verstauen konnte (und das ist gar nicht so einfach, wenn man 5 Paar Schuhe mitnehmen muss!) war da plötzlich eine Person, von der ich mich unbedingt noch verabschieden wollte. Peter, Kimi, Ann-Carolin und Hanna, die ich nun anderthalb Jahre lang nicht mehr sehen würde.

 

Ganz zu schweigen davon, dass ich noch die letzten Sachen eingekauft und zwei Arzttermine gehabt hatte. Aber nun komme ich,- möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass Papa einen Termin hat, den er wahrnehmen muss und es deshalb endlich einmal eine feste Deadline gibt, die mich antreibt, - recht gut voran. Ein Blick auf die Kofferwaage zeigt ebenfalls, dass ich gut gepackt habe: Beide Koffer haben eine Gewicht von unter 23 Kilogramm, sodass ich glücklicherweise nicht noch einmal etwas umpacken muss.

 

 

13: 40 Uhr

  

Mama und ich sitzen jetzt allein im Auto und fahren nach Frankfurt. Eben haben wir Papa zur Arbeit gebracht und bei dem Abschied von ihm sind mir das erste Mal die Tränen gekommen. Natürlich auch, weil ich ihn vermissen werde, aber vor allem, weil ich gemerkt habe, dass auch er mich unheimlich vermissen wird. Gleichzeitig bin ich meinen Eltern allerdings sehr dankbar, dass sie es mir leicht machen: Beide freuen sich für mich und sind stolz, dass ich diesen Schritt wage.

 

 

 18:30 Uhr, Frankfurt

  

Nach mehreren Staus, schlechter Sicht durch Regen und dutzenden roten Ampeln im Frankfurter Straßenverkehr sind wir nun endlich angekommen. Am Bahnhof holen wir Peter ab, der die Nacht mit uns in einem Hotel verbringen und am nächsten Morgen am Flughafen Tschüss sagen wird. Wir gehen noch zusammen essen und beten vor dem Schlafengehen zusammen für den Flug, bevor es losgeht. Ich bin ein bisschen durch den Wind, das merkt man daran, dass ich mir heißen Tee auf den Bauch kippe, Türen in die falsche Richtung abschließen will und am nächsten Morgen ein Stockwerk zu früh zum Frühstück abbiege. Trotz der Aufregung konnte ich aber recht gut schlafen, wofür ich wirklich dankbar bin. Schließlich liegt ein langer und anstrengender Tag vor mir.

 

 

  1. Oktober, 8:30 Uhr

 

Mithilfe des Navigationssystems unseres Autos haben wir Terminal zwei gut erreicht. Madita, Selina, Julian und deren Familien sind bereits da, sodass wir uns zusammen anstellen und einchecken können. Da wir zwei Stunden früher da sind, klappt alles recht zügig und ansatzweise reibungslos, lediglich Madita hat nach einem gemeinsamen Frühstück mit ihren Eltern plötzlich Zeitnot: Die Schlange vor der Sicherheitskontrolle ist immer länger geworden und während Julian, Selina und ich bereits auf heißen Kohlen vor dem Gate stehen, konnte sie noch nicht einmal ihr Gepäck durchchecken lassen. Ich werfe ständig einen Blick auf die Uhr, deren Zeiger sich bedrohlich dem Gate-Close nähern. Drei Minuten vor Schluss kommt sie dann auch endlich angerannt und wir können ausatmen: Das ist ja gerade noch einmal gutgegangen...

10: 15 Uhr

 

Das Flugzeug startet etwas verspätet und Deutschland verabschiedet sich mit einem unangenehmen Nieselregen und grauem Himmel von uns. Auf dem Flug nach Amsterdam sitze ich neben Selina, sodass ich während des Starts ihre Hand zerquetschen kann. Wie ihr vielleicht schon wisst, fällt mir das Fliegen nicht leicht. Es ist dieses Gefühl, keine Kontrolle darüber zu haben, was nun passiert und jedes Mal, wenn der Flug etwas turbulenter wird, zucke ich zusammen und spüre, wie unter meiner Brust mein Herzschlag explodiert. Nichtsdestotrotz muss ich da durch. Und gleichzeitig kann es ja auch eine tolle Übung sein, um eben genau das zu lernen: Kontrolle abzugeben und mich meiner Angst zu stellen. Zu lernen, dass all die Katastrophen nur in meinem Kopf stattfinden und dass ich, selbst, wenn wir abstürzen würden, direkt in Gottes Arme fallen würde.

 

Während ich das hier schreibe, fühle ich mich schwach. Wenn man an Gott glaubt, sollte man doch nicht ständig Angst vor allem möglichen haben, oder? Das ist unauthentisch.

 

Andererseits heißt Mut wohl nicht unbedingt, sich nicht mehr zu fürchten, sondern eher, trotz seiner Angst etwas zu machen. Mut ist Angst, die gebetet hat., habe ich einmal gelesen. Und das stimmt: 

Während der Seminare haben viele Leute für den Flug und dafür gebetet, dass ich während der Reise ganz ruhig sein kann und Gott mir den Frieden schenkt, den ich brauche.

Diese Bitte hat er mir erfüllt. Es hört sich banal an, dass es ein Wunder ist, dass ich auf dem Flug nach Amsterdam und auch danach auf den zwölfeinhalb Stunden nach Lima ruhig und entspannt bin, doch so ist es. Im Nachhinein kann ich es mir immer noch nicht erklären, warum ich lachen, scherzen, gemütlich Filme schauen, essen und interessiert aus dem Fenster sehen konnte, ohne auch nur eine Spur von Panik zu bekommen. Der Vers „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.“ war die ganze Zeit über in meinem Kopf und ich wusste genau: Wenn Gott will, dass ich nach Peru gehe, dann werde ich auch dort ankommen. Ich spürte einfach, dass es sein Frieden war, der mich erfüllte.

Gleichzeitig konnte ich auch zu meiner Angst stehen. Selina hatte keinerlei Probleme damit, dass ich bei dem zweiten Start wieder ihre Hand nahm und ich denke, dass es mehr als okay ist, auch Schwächen wie Flugangst zu haben.

 

Darüber hinaus lief wirklich alles gut: Obwohl wir in Amsterdam nur eine Stunde bis zum Start des zweiten Fluges hatten, erreichten wir ihn pünktlich und beide Flüge verliefen sehr ruhig ohne etwaige Turbulenzen. 

Wenn ich währen des Fliegens die Augen schloss, sah ich meine Mutter und Peter vor mir, denen ich noch so lange wie möglich gewunken hatte. Eine letzte Kusshand, bevor wir uns mehrere Monate nicht sehen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass das auch eine Chance sein kann und nicht zwingend das Aus einer Beziehung bedeuten muss. Wenn wir beide in Gottes Augen zusammengehören, dann werden wir auch dieses Jahr überstehen und gestärkt daraus hervorgehen.

  

Um halb sieben Uhr abends (nach peruanischer Zeit) erreichten wir schließlich Lima, während es in Deutschland schon halb zwei war. Noch vertrieb die Aufregung jegliche Müdigkeit, doch ich ahnte bereits, dass wir vorerst nicht würden schlafen gehen können und dass der deutsche Prämorgen uns spätestens in einigen Stunden deutlich in den Knochen stecken würde.

 

Unsere Koffer waren mit uns angekommen; gleich nachdem wir sie wiederbekommen hatten, erwartete uns allerdings das nächste Problem: Marion von Diospi Suyana hatte uns geschrieben, dass ein Taxifahrer uns vom Flughafen abholen würde, allerdings konnten wir bisher keinen entdecken. Und bei jemand völlig Unbekanntem in ein Auto zu steigen, ist im Ausland per se eher keine gute Idee. Also nutzten wir die Zeit gezwungenermaßen, um Geld zu wechseln und abzuheben und zuhause Bescheid zu sagen, dass wir gut angekommen waren. 

 

 

Nach etwa einer halben Stunde kam dann schließlich auch Rober (nein, er bevorzugt es, ohne das t am Ende geschrieben zu werden) und führte uns zu einem Großraumtaxi, das uns mitsamt unserem Gepäck in die Gästewohnung zu bringen, die Diospi Suyana für die Ankunft der Missionare gekauft hatte. Sie war geräumig, wunderschön eingerichtet und mit warmen und vor allem sauberen Duschen ausgestattet. Rober schien ständig zu vergessen, dass wir völlig übermüdet waren: Im Gästehaus angekommen, wollte er uns erst einmal eine Führung geben. Unglücklicherweise hatte ich auf der Hinfahrt neben ihm gesessen und mich bereits so gut es ging mit ihm unterhalten, sodass er sich nun bei allen Fragen an mich wandte. Dies sollte sich auch am nächsten Morgen nicht ändern. Obwohl wir nach europäischer Zeit erst um circa 5:00 Uhr morgens ins Bett gegangen waren, wachten wir bereits auf, als es gerade dämmerte. In Peru wird es bereits gegen vier Uhr morgens hell, dafür ist es um etwa 18 Uhr plötzlich schlagartig dunkel. Lima liegt zwar direkt am Meer, von Sommer und viel Sonne kann allerdings keine Rede sein: Der Smog ist hier so deprimierend dicht, dass wir während unseres viertägigen Aufenthaltes lediglich einmal so etwas wie blauen Himmel erahnen konnten.

 

 

 

Recht müde und ausgehungert kauften wir an unserem ersten Morgen Brötchen, die noch weniger sättigten, als ich es von dem deutschen Weißbrot gewohnt bin. Anschließend hatten wir anscheinend „Frei“, - die Absprache gestaltete sich noch etwas schwierig, - konnten uns gleichzeitig aber auch nicht Lima ansehen, die es für deutsche Touristen extrem unsicher ist, mit der Bahn zu fahren.

 

Aus dem Haus gehen konnten wir also nur, wenn Rober uns ein Taxi rief, was bedeutete, dass wir recht oft etwas frustriert festsaßen, anstatt uns die Hauptstadt Perus ansehen zu können.

 

Gleichzeitig konnten wir die Zeit aber auch nutzen, um einkaufen und essen zu gehen. Diejenigen, die unseren Instagram-Account verfolgen, haben bestimmt die Posts zu Lima gesehen. Den restlichen kann ich sagen: Solltet ihr euch jemals in Peru aufhalten und eine Inka-Cola angeboten bekommen... - Trinkt es nicht. Es sei denn natürlich, ihr steht auf eine Kombination aus Zucker- und Koffein-Schock.

 

 

 

Was mir von Lima vermutlich am meisten im Gedächtnis bleiben wird, ist der Verkehr. Es gibt hier anscheinend kaum Regeln; anstatt beim Abbiegen zu blinken, wird gehupt und Fußgänger haben prinzipiell keinen Vorrang, sondern müssen praktisch die ganze Zeit um ihr Leben rennen.

 

Da allerdings alle Leute so fahren, scheint es irgendwie zu funktionieren. Zeuge eines Unfalls waren wir glücklicherweise noch nicht.

 

 

 

Hinzu kommen aber auch noch andere Eindrücke: Los Parques del Agua mit einer nächtlichen, beeindruckenden Laser-Show in den Wasserfontänen, der Stadtteil Mira Flores und natürlich der Strand an der grün bewachsenen Steilküste. Lediglich das Stadtzentrum konnten wir nicht besuchen, allerdings war in diesem auch Vieles abgesperrt. Einige Tage zuvor hatte der peruanische Präsident das Parlament abgesetzt, weshalb das ganze Land – und vor allem die Hauptstadt – nun verständlicherweise voller Unruhen waren. Zwei Tage zuvor hatte es auch einen Giftgasanschlag am Strand gegeben, sodass wir diesen zunächst erst einmal nicht besuchen konnten.

 

Die meiste Zeit waren wir jedoch ohnehin damit beschäftigt, bei Interpol oder bei der Ausländerbehörde auf Plastikstühlen zu sitzen und darauf zu warten, dass wir aufgerufen wurden,

 

um unser Visum beantragen zu können.

 

 

 

Lima ist eine Stadt tausender Eindrücke, gleichzeitig aber auch etwas farblos und grau. Die Menschen sind hier vermutlich hektischer unterwegs als in den restlichen Teilen Perus, allerdings war es dennoch eine große Herausforderung, mit dem peruanischen Verständnis von Pünktlichkeit umzugehen. Nicht selten kam es vor, dass wir zum verabredeten Termin bereits in den Startlöchern standen und dann erst zwei Stunden später aufbrechen konnten. Dafür sind die Peruaner, denen wir bisher begegnet sind, aber umso herzlicher und begrüßen dich mit einem Kuss auf die Wange.