How to: Krankenpfleger

Eindrücke aus meinem Pflegepraktikum

Das Adrenalin, das an jenem ersten Morgen durch meine Adern schoss, lies meinen Körper sofort vergessen, dass er kaum geschlafen hatte. Hochmotiviert und natürlich unheimlich aufgeregt stapfte ich an diesem Montag also den Meisenheimer Berg hinauf, den ich in den kommenden Wochen noch öfter erklimmen würde. Warum müssen Krankenhäuser immer auf Bergen liegen? Das verfolgt mich, ehrlich! Aber im Gegensatz zu Diospi muss man diesen Berg immerhin nicht auf einer Höhe von 2650 Höhenmetern bewältigen.

 

Oben angekommen klingelte ich brav und wurde schließlich, meinen petrolfarbenen Mundschutz bereits im Gesicht, hineingelassen und gleich an die Klinikverwaltung verwiesen. Eine freundliche Dame mit kurzem, blonden Haar und einer stylischen Brille führte mich daraufhin auf die Station 1C, der Chirurgie, auf der ich in den folgenden Wochen arbeiten würde.

Die erste Schwester, der ich begegnete, war Simone. Ihre dunklen Locken schienen sich mit aller Kraft gegen das Haargummi zu wehren, mit dem sie sie gebändigt hatte und auch sonst wirkte sie so, wie ich mir eine Schwester vorgestellt hatte: Robust, den Stürmen des Lebens gewachsen und zwar von all der Arbeit abgehärtet aber dennoch sehr gutherzig und hilfsbereit. Sie war eine der vielen Personen, die ich noch sehr liebgewinnen würde.

 

Da ich als Praktikantin keinen Transponder besaß, ging sie zunächst einmal mit mir nach unten, um mir zu zeigen, wo ich zukünftig meine Arbeitskleidung herbekam. Als ich mich fertig umgezogen hatte und etwas nervös im Schwesternzimmer stand, sah sie mich prüfend an.

„Kannst du Vitalwerte messen? Blutdruck, Fieber und so...?“

„Ehm...“ Ich räusperte mich. „Wenn Sie es mir noch einmal kurz zeigen...?“

„Du.“, verbesserte sie mich. Und dann ging es nach einer kurzen Einweisung auch schon los:

Mit einem druckfrischen Zettel in der Hand, auf dem sowohl die Zimmer, die Namen der Patienten als auch andere Daten vermerkt waren, maß ich mich nach und nach durch die gesamte Station.

Der Corona-Pandemie geschuldet gab es momentan nicht nur Chirurgiepatienten, sondern eben auch internistische und Rehapatienten. Die Coronafälle selbst oder diejenigen, die erst noch getestet werden mussten, wurden auf der Station 1B, direkt gegenüber untergebracht, die für alle Mitarbeiter und Besucher jedoch isoliert war.

Für mich bedeutete das natürlich auch eine viel größere Bandbreite an verschiedenen Erkrankungen, die ich zu Gesicht bekam, - und damit wohl ein weitaus interessanteres Arbeitsfeld als das zu normalen Zeiten der Fall gewesen wäre.

Der erste Tag verging wie im Flug: Mit dem Vitalwertemessen war ich erst einmal eine Weile beschäftigt. Anschließend nahm mich ein freundlicher Pflegehelfer aus Somalia namens Mo (eigentlich Mohammed) an die Hand und zeigte mir, wie man die Leute richtig wusch oder bei Bedarf auf eine Bettpfanne verfrachtete. Es gab viel zu lernen und ich lief noch mehr hin und her, um Leute zu ihren Untersuchungen zu bringen (manchmal im Rollstuhl, manchmal im Bett) oder einfach nachzusehen, was passiert war, wenn ein Patient auf seine Klingel gedrückt hatte.

Am Anfang waren vor allem die ersten Aufträge schwierig zu meistern. Das Gesundheitszentrum Glantal ist eigentlich recht logisch aufgebaut, doch wenn man nicht weiß, wo sich das CT oder die Endoskopie befinden, ist man natürlich schon erst einmal aufgeschmissen. Hinzu kommen dutzende Treppenhäuser an zwar gut durchdachten Stellen, aber wie gesagt... Das System muss man auch erst einmal begreifen. Und ich gebe es nur ungern zu, aber als Benni mich am Vortag durch die Gänge geführt hatte, hatte das alles irgendwie anders ausgesehen.

Naja. Egal. Nach und nach bekam ich den Dreh ja raus.

 

Es stellte sich heraus, dass ich als Praktikantin jeden Mittag ein kostenloses Essen erhalten würde. Vorerst würde ich außerdem erst einmal regelmäßig den Zwischendienst von 7:30 Uhr bis 15:42 arbeiten, - oder schaffen, wie es die Pfälzer hier sagen. (Ich frage mich, warum sie das nicht gleich in Millisekunden angegeben haben...)

Und das mit den Pfälzern ist natürlich auch noch so eine Sache.

Da kommt man aus Peru und freut sich darauf, nun endlich in einem Krankenhaus arbeiten zu können, in welchem man die Menschen auch versteht, und dann das! Warum hat man mich nicht gewarnt, dass Pälzisch eigentlich nicht wirklich als Deutsch bezeichnet werden kann?

Vor allem in genuschelter Form nicht, am besten von älteren Leuten, die ihre Zähne nicht drin haben und sich dann darüber ärgern, dass ich ihren Dialekt nicht verstehe.

Statt Geschlafen sagt man hier geschloft.

Das Gleiche gilt für gewescht oder gedenkt. (Isch han' gedenkt, zum Beispiel...)

Ajo, aber bevor ich mich künstlich aufrege, muss ich zugeben, dass ich das Pfälzer-Deutsch eigentlich sehr niedlich finde. Und, allergut, die hier so wichtige Weinkultur kann einem ja auch nur sympathisch sein... ^^

 

Am Ende meines ersten Arbeitstages war ich also keineswegs müde oder erschöpft, sondern einfach nur voller neuer Eindrücke. Es hatte mir unheimlich Spaß gemacht, mit den Patienten ins Gespräch zu kommen und ich merkte, dass mir das auch recht gut gelang: Die Leute mochten mich und es fiel mir leicht, ermutigende Worte zu finden oder trotz Maske mit einem herzlichen Lächeln jemanden dazu zu bewegen, zurückzulächeln.

Hinzu kam, dass ich bereits am ersten Tag merkte, dass ich wirklich eine Hilfe war und den hoffnungslos unterbesetzten Schwestern einen Teil ihrer Arbeit abnahm. Eine solche Möglichkeit war es ja, auf die ich gehofft hatte und so war ich Gott sehr dankbar, dass er mich an diesen Ort gestellt hatte.

 

Als ich von der Arbeit kam, führten die Jungs gemeinsam mit ihrem Großvater gerade einen größeren Arbeitseinsatz durch: Es galt, dutzende Holzbalken vom Parkplatz vor dem Haus nach hinten in den Garten zu tragen und da ich immer noch voller Adrenalin war, stürzte ich mich begeistert auf die neue Aufgabe.

 

Den ganzen nächsten Vormittag jammerte ich Mo im Krankenhaus die Ohren damit voll, dass meine Oberarme brannten, - keine gute Grundvoraussetzung dafür, die ganze Zeit Leute durch die Gegend zu transportieren. Aber hey, - es hatte Spaß gemacht.

An jedem der nächsten Tage lernte ich viel dazu. Über die Arbeit im Allgemeinen aber auch über das Leben mit einem Job mit Schichtdienst. Mein Respekt vor der Arbeit, die die Schwestern leisteten, wuchs von Tag zu Tag und ich war dankbar dafür, dass meine ständigen Fragen, wenn ich mir bei etwas noch nicht sicher war, geduldig beantwortet wurden.

Auch Gottes Kraft und Führung spürte ich sehr stark: Ich hatte oft die Gelegenheit, die Patienten mit einem Vers oder etwas Ähnlichem zu ermutigen und viele baten mich sogar, für sie zu beten, als sie merkten, dass ich gläubig war. Am glücklichsten schien es sie allerdings zu machen, wenn sie merkten, dass sie mir wirklich als Menschen, - und geliebte Geschöpfe Gottes, - am Herzen lagen. Ich betete oft um Geduld und Ruhe und erhielt sie auch. Für manche von euch mag es komisch klingen, doch häufig hatte ich das Gefühl, dass nicht ich es war, die zu einem Patienten sprach, sondern dass es Gottes Geist und seine liebevollen Worte waren, die aus mir herausströmten.

 

Die vielen Erlebnisse und Eindrücke sorgten dafür, dass ich regelmäßig kaum schlafen konnte. Im Halbschlaf schob ich weiterhin die Betten durch die Gegend oder durchlebte Begegnungen erneut, die stattgefunden hatten. Mein Schlafrhythmus war eindeutig gestört, doch trotz allem machte Gott wahr, was er in der Bibel verspricht: „Er gibt dem Müden Kraft und die Schwachen macht er stark.“(Jesaja 40, 29) Es grenzt an ein Wunder, dass ich teilweise noch einsatzfähig war.

 

 

Ab und an hatte ich in meinen Pausen die Gelegenheit, ein paar Zeilen zu den Geschehnissen des jeweiligen Tages aufzuschreiben. Diese würde ich gerne mit euch teilen. Sie beschreiben denke ich recht gut, wie mein Alltag so aussah und sind außerdem spannender zu lesen als so ein bloßer Bericht.  

 

  1. 05.

 

Auf der Arbeit lerne ich die Arbeit mit den Patienten immer mehr lieben. Auch meine Kollegen gewinne ich sehr lieb. Anke schafft es, mich mit ihrem Hundeblick zu immer neuen Botengängen ins Labor zu schicken, mit Cordula lache ich über die zu engen Hosen, bei denen ständig die Knöpfe aufgehen und Kathi ist generell ein Schatz in Person. Sabine und Ulli zweigen mir mit verschwörerischen Blicken Essen ab, wenn ich nach der einen Portion immer noch halb am Verhungern bin, Andre und ich unterhalten uns im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt und Liane lerne ich für ihren Humor und ihre Kompetenz sehr zu schätzen.

Und das sind nur einige Beispiele...

Mo hat als Flüchtling ein unheimlich spannendes Leben gehabt und inspiriert mich sehr mit seinem Optimismus und Kampfgeist. Darüber hinaus ist er mit seiner Fähigkeit, der Maschine einen wundervollen Latte Macchiato zu entlocken einfach ein unverzichtbarer Arbeitskollege.

Nach all den Wochen mit sehr eingeschränkten sozialen Kontakten tut es mir unheimlich gut, so viele tolle neue Menschen kennenlernen zu dürfen, - und das sogar, ohne Abstand halten zu müssen!

 

 

  1. 05.

 

Heute ist Land unter.

Die Schwestern rennen gestresst durch die Gegend und ich singe im Kopf Lobpreislieder um mich nicht von der hektischen Stimmung anstecken zu lassen. Eine Zeit lang klappt das ganz gut.

 

Das ist ja wie Sodom und Gomorah bei euch.“, meinte eine Schwester einer benachbarten Station. Darauf war meine Antwort: „Das würde dann aber heißen, dass das Ganze irgendwann ein Ende hätte...“

Gelächter, aber so ganz Unrecht hatte ich nicht: Nach Einem Ende sah es vorerst nicht aus.

 

 

Montag, 25.05.

 

Heutige Highlights: Bei PeG, Colo und Gastro dabeigewesen. (Unter diesem Link findet ihr Erklärungen, wenn nötig... ^^ https://www.netdoktor.de/diagnostik/endoskopie/ )

Später sogar die Abtragung eines Polypen gesehen.

Thorsten leistet wirklich Überzeugungsarbeit. Sonst hätte er mich bestimmt nicht bei der Chefarztvisite mitlaufen lassen. Das Ganze war wie im Krimi: Die Ärzte sahen sich die Krankenakte an, nannten die Symptome und überlegten gemeinsam, was der Patient wohl haben konnte. Ich bekam außerdem die Gespräche mit den Patienten mit, die ich sonst ja nur dann erlebte, wenn sie den Tag über gepflegt werden mussten.

Es ist interessant, wie manche von ihnen dann aufblühen.

 

Und das Tollste dieses Tages: Ich habe zweimal mit und für Patienten beten dürfen und sehr tiefe Gespräche geführt.

Ich lieb's!

 

Trotz allem habe ich eigentlich recht viel geschafft: Die Vitalwerte aller Patienten abgenommen, die Schränke in der Mitte der Zimmer aufgefüllt und auch ansonsten alles Notwendige erledigt.

 

 

27.05.

 

Heute ist mein „Runter-Schmeiß“ und „Fallen-Lass-Tag“ Zum Glück ist noch nichts kaputtgegangen. Ich bin sowas von durch den Wind, das ist gar nicht in Worte zu fassen. Deshalb versuche ich das auch gar nicht erst. Viel außer „Hatten Sie heute schon Stuhlgang?“ und „Wie groß sind die Schmerzen auf einer Skala von 0 bis 10?“ würde dabei ohnehin nicht herauskommen.

 

Highlight des Tages: Ich durfte bei einer ERCP dabei sein (einer Untersuchung mit Zuhilfenahme von Kontrastmittel und Röntgenbildern, in diesem Fall von den Gallengängen).

Der Bleikittel war ungelogen bestimmt mindestens halb so schwer wie ich.

Ich wusste nicht, dass man vom vielen Stehen Muskelkater bekommen kann.

 

No-Go- Des Tages: Ein Patient, der mich wie eine Sklavin behandelt. Gerade heute kam ich ins Zimmer und er hielt mir ohne ein weiteres Wort seine Plastikflasche zum Abräumen hin. Im Hintergrund lief laute Musik (Es ist ja nicht so, dass man Kopfhörer momentan sogar gratis gestellt bekommt...) und er sah mir dabei nicht einmal ins Gesicht, sondern hatte die Augen weiterhin interessiert auf den Fernseher geheftet.

Was soll ich damit jetzt machen?, fragte ich und konnte nur mit Mühe ein entrüstetes: „Auf den Boden werfen?“ zurückhalten. Aaaber.. auch das ist ein geliebtes Kind Gottes.

 

Lektion des Tages: Ältere Männer immer zuerst fragen, ob sie gewisse Teile ihres Körpers nicht auch selbst waschen können. Gegen die Hilfe eines Jungen Mädchens sagen sie natürlich selten etwas.

 

Fazit: Körperliche Arbeit mit Mundschutz sucks.

 

 

28.05.

 

Nach heute nur knapp 4 Stunden Schlaf geht es mir erstaunlicherweise noch recht gut.

Stimmungsaufheller ist definitiv eine Frau, die nach schmerzstillenden Medikamenten nun völlig auf dem Trip ist: Ich bin die Uschi! Die Uschi macht kein' Quatsch! Ich bin eine Wildsau! Mir geht’s saaaauuguuuuut! (Das sind nur einige Beispiele aus ihrem Repertoire, die die Schwestern und mich regelmäßig zum Lachen bringen. Ich will auch was von dem Zeug!)

 

13:25: Hunger. Müde. Schlafen.

Klingel auf Zimmer 5. Haha.

 

 

29.05.

 

Erstes Fazit des Tages: Es ist absolut besch***en, mit Demenz im Krankenhaus zu liegen und die ganze Zeit völlig verwirrt, orientierungslos und verängstigt zu sein. Eine Patientin tut mir hier sehr leid. Ich bin bereits dazu übergegangen, ihr einen Zettel mit den nötigsten Informationen (auch über sich selbst) zu schreiben und in regelmäßigen Abständen vorzulesen. Irgendwie scheint sie sich zu merken, wer ich bin, denn jedes Mal, wenn ich hineinkomme, entspannt sie sich sichtlich und lobt mich dafür, wie freundlich ich sei. Bibelverse auswendig kann sie interessanterweise immer noch und manchmal überrascht sie mich plötzlich mit Weisheiten wie: „Es ist toll, helfen zu können. Es ist aber auch schon wesentlich, es zu versuchen.“

 

Zweites Fazit: Es gibt auch sehr nette und dankbare Patienten. Solche, die mir ständig sagen, was für eine Hübsche ich denn sei und dass ich der Stella wie aus dem Gesicht geschnitten wäre (Wer auch immer Stella ist...).

Ein weiterer, älterer Herr wollte zuerst sein Essen nicht anrühren, weil er sich so darum sorgte, dass ich doch jetzt auch einmal etwas essen sollte, anstatt von Zimmer zu Zimmer zu rennen und die Patienten zu versorgen.

Da ich erst nach einer ERCP frühstücken konnte, die ich mit ansehen durfte, war ich noch nicht wirklich hungrig, wohl aber sehr gerührt davon, wie besorgt er um mich war.

Dass er mich als Person sah und nicht nur als diejenige, die ihm neues Wasser brachte.

 

  1. 06.

 

Heute ist einer dieser Tage, an denen man vor lauter unterschiedlichen Aufgaben nichts so richtig zuendebringen kann. Momentan ist es verhältnismäßig ruhig, weshalb ich meinen knurrenden Magen schnell mit einer Portion Tortellini versorgt habe und nun sogar dazu komme, ein paar Zeilen aufzuschreiben. Von Leutewaschen, durch die Gegend schieben, Essen austeilen, entlaufende Patienten einsammeln, verwirrten und dementen Patienten gut zuzureden um sie von ihren Selbstmordplänen abzubringen, Vitalwerte und Blutzuckermessen, Betten beziehen und Stockwerk um Stockwerk vom Labor und zurück zu laufen, ist wirklich alles dabei.

Das Highlight heute: Von einem älteren Herrn zunächst gefragt zu werden, ob man denn verheiratet sei, sich dann für sein nicht vorhandenes Liebesleben rechtfertigen zu müssen (warum ich in Anden denn keinen Andern gefunden hätte, haha...) und schließlich zu hören zu bekommen, was für schöne Augen man dann habe. (Sehr viel mehr von dem Gesicht sieht man ja auch nicht... ^^)

Nun ja. Jede eventuell erhoffte romantische Stimmung wurde durch seine Frage „Können Sie mir mal mein Asshole waschen?“ anschließend sofort wieder zu Nichte gemacht.

 

 

  1. 06.

Heute war es verhältnismäßig ruhig auf Station, fast unheimlich ruhig eigentlich.

Kati, die Stationsleitung hat mir einen OP-Termin (also, einen zum Zugucken ^^) organisiert und ich genieße den Kontakt zu den gleichaltrigen Schülern. Was ich anfangs teilweise allein machen musste, können wir nun zu zweit oder dritt erledigen. Das ist schon eine Entlastung und lässt die Arbeit weitaus weniger stressig werden.

 

Fazit des Tages: Es macht mir eindeutig zu viel Spaß, Blutzucker zu messen. Das sollte mir zu denken geben.

Erfolg des Tages: Genau in den kurzen Zeitfenstern nachhause zu kommen, in denen es Nicht geregnet hat.

 

Später am Tag hatte ich allerdings weniger Erfolg damit. Gerade, als ich mit dem Fahrrad einkaufen fahren wollte, um für die Familie, bei der ich wohnte, zum Abendessen eine leckere Blätterteigrolle zu machen, regnete es natürlich in Strömen. So schnell ich konnte, schlüpfte ich anschließend in trockene, warme Sachen und werkelte ein wenig in der Küche herum, während Thorsten im Hintergrund zu einigen Covern von den Welshly Arms jammte. Als die Spülmaschine fertig ausgeräumt und das Abendessen soweit vorbereitet war, dass man es nur noch in den Backofen schieben musste, zog ich meine Laufsachen an und lief noch die Runde über die Felder, die Benni mir gezeigt hatte. Zu diesem Zeitpunkt regnete es nicht mehr, stattdessen roch es nach frischer, atmender Erde und so weit das Auge reichte, dampfte der Boden regenschwere Luft.

Das war wirklich ein unheimlich schöner Anblick und ich war Gott aufs Neue sehr dankbar dafür, dass er mir einen gesunden Körper geschenkt hatte, der solche Dinge tun und erleben konnte.

Die Arbeit im Krankenhaus öffnet einem dafür einmal mehr die Augen.

 

  1. o6.

     

Die Stunden kriechen im Schneckentempo auf das Wochenende zu. Wie gut, dass es draußen genau wie gestern ohnehin regnet und so eklig ist, dass man generell wenig Bedürfnis verspürt, seine Zeit anstatt zu arbeiten an der frischen Luft zu verbringen. Durch die vielen geöffneten Fenster ist es ja hier drinnen schon so kalt, dass viele von uns Schwestern mit Strickjacken durch die Gegend laufen. Erlaubt ist das bestimmt nicht. Naja.

Mal sehen, ob ich so viel Glück wie gestern habe und im Trockenen nach Hause komme.

 

Kurzer Nachtrag: Nope.

 

Dafür ist es drinnen umso gemütlicher, wenn draußen die Welt untergeht.

Und wenn dann auch noch das Essen schmeckt, man sich auf ein Sofa kuscheln kann und im Rahmen der ziemlich witzigen Serie „Gisbert“, (die die „pälzische“ Lebenskultur ein wenig auf die Schippe nimmt), auf sehr lustige Art und Weise wirklich die Welt untergeht, dann ist sowieso erst einmal die Welt gerettet.

Eh... Moment. :'D

 

 

 

08.06.

 

Heute war ich den gesamten Vormittag im OP mit dabei und durfte zwei VAC-Wechsel und die Entfernung von Hämorrhoiden beobachten. Der Geruch, den dieser Vorgang verursachte, erinnerte mich stark an einen Moment meiner Einsegnungsfeier: Nämlich genau den Augenblick, in dem ich versehentlich meine Haare in eine Kerzenflamme gehalten hatte. Uuups.

Alles in allem war es aber eine sehr spannende Zeit, auch wenn ich nachher völlig durchgefroren war und ein paar Mal gegen meinen etwas schwächelnden Kreislauf ankämpfen musste. Das lag allerdings nicht an dem, was ich sah, im Gegenteil, sondern eher daran, dass ich etwas müde und zudem auch noch am Zittern war. Und der Mundschutz trägt dann natürlich auch nicht unbedingt seinen Teil zur Besserung des allgemeinen Wohlbefindens bei.

 

Egal, ich überlebte es, tankte während meiner Mittagspause etwas Energie (gut, dass ich Aleks Rat befolgt hatte, - Gehe nie ohne ein Käsebrot aus dem Haus) und konnte anschließend erholt und wieder einsatzfähig auf der Chirurgie weiterarbeiten. Für diesen Tag gab es keine Operationen mehr, dafür durfte ich morgen wieder in den OP, um mir einige Gallen, einen Darm und einen Blinddarm anzusehen. Mein Vater meinte, dass ich bereits wie eine Ärztin klänge und ich konnte ihn darin nur bestärken: Tja, Papa. Das sind keine Patienten mehr. Das sind einfach nur noch Gallen und Blinddärme.“ Etwas traurig, aber je länger man in diesem Beruf arbeitet, desto ähnlicher denkt man darüber vermutlich. Gleichzeitig kam ich nicht umhin, die Geschicklichkeit dieses Handwerks zu bewundern. Denn das ist es auch wirklich: Handwerk in seiner Vollendung.

(Auch wenn Mama die Naht bestimmt schöner hinbekommen hätte.)

 

Im Rückblick betrachtet war es aber sehr gut, dass es an diesem Nachmittag auf der Chirurgie nicht mehr viel zu sehen gab: So konnte ich meine Zeit dazu nutzen, die Schränke in den Patientenzimmern aufzufüllen und vor allem mit einer Patientin ins Gespräch zu kommen, die sich von den Ärzten nicht ernstgenommen fühlte und generell ziemlich niedergeschlagen war.

Ich hörte ihr geduldig zu, während sie mir von ihrer Übelkeit berichtete und wie schwer es ihr fiel, sich trotz dieses Unwohlseins auf das Laufen und Belasten ihres operierten Beines zu konzentrieren.

Allein die Tatsache, dass jemand sie verstehen konnte und sie nicht einfach so abwimmelte, schien ihr gut zu tun und als wir dann auch noch gemeinsam probierten, das Bein zu beugen und einige Übungen zu machen, da lächelte sie mir voller Dankbarkeit ins Gesicht.

„Das hat unheimlich geholfen.“, sagte sie und einem Impuls folgend antwortete ich darauf:

„Gern geschehen. Darf ich vielleicht noch für sie beten?“

„Ja, gerne! Sie sind das doch, die vor meiner Operation zu mir gesagt haben, dass Sie für mich beten werden, oder? Ich habe mich das schon die ganze Zeit gefragt, ob sie das sind und war mir bloß nicht sicher. Aber das hat mir unheimlich viel gegeben!“

Vor Rührung traten ihr die Tränen in die Augen und auch ich hatte Mühe, meine zurückzuhalten.

Da war er wieder, der Beweis: Eine körperliche Heilung war nicht alles. Auch die Behandlung der Seele spielte eine große Rolle und das konnte teilweise eben nur Gott.

Und so schlossen wir beide die Augen und beteten gemeinsam. Ich konnte förmlich fühlen, wie sie sich entspannte und anschließend erzählte sie mir viel aus ihrem Leben und ich war der geduldige Zuhörer, als den der heilige Geist mich in diesem Moment gebrauchen wollte.

 

10.06.

 

Heut' kein OP mehr, dafür wieder die gewohnte Arbeit auf Station, die ich sogar schon ein wenig vermisst hatte. Mit Petra hatte ich weiterhin viel Kontakt, sie macht jetzt immer mehr Schritte und große Fortschritte. Des weiteren hat sie mir erzählt, dass sie vor jeder Bewegung, die ihr wehtut, zu Gott um Kraft betet. Und dass er sie wirklich von innen heraus verändert.

Das ist so unheimlich schön zu sehen! Ich sage es einmal mit ihren Worten: Es ist ein Wunder.

 

Mit den Schülern verstehe ich mich wirklich gut: Vor allem Aaron ist trotz der drei Schlaganfälle, die er bereits hatte, ein unheimliches Vorbild an Optimismus, Dankbarkeit und Humor. Während wir gemeinsam die Vitalwerte der Patienten messen (er mit dem Messgerät, ich mit dem mobilen PC), machen wir uns einen Spaß daraus, einen Autoscooter-Wettkampf anzudeuten.

Anzudeuten, wohlgemerkt. Anzudeuten.

 

 

 

  1. 06.

 

Am Freitag sah ich mir nach der Arbeit eine Vorlesung über die Lunge mit Benni an und genoss den Rest des Rharbarberkuchens, den Aleks am Tag zuvor gebacken hatte. Der Latte Macchiato durfte natürlich auch nicht fehlen. Irgendwann zwischendurch rief sie uns an, um uns mitzuteilen, dass wir Pizza bestellen und diese im Weinbergshaus gemeinsam essen würden. Es wurde ein schöner Abend: Die Pizza war sehr lecker, die Gemeinschaft entspannt und die Stimmung aufgehellt. Ich hatte an diesem Tag wieder im OP zuschauen dürfen und nicht nur die Entfernung eines Darmteils, sondern heute auch die Resektion eines Magenkarzinoms beobachten dürfen. Zwei Spitzenchirurgen hatten hier wohl ganze Arbeit geleistet: Eine Operation, die eigentlich drei bis vier Stunden dauerte, hatten sie innerhalb von nur anderthalb Stunden und obendrein auch noch völlig laparoskopisch bewältigt. Selbst die Op-Schwestern waren währenddessen völlig fasziniert gewesen, da sie so etwas noch nie gesehen hatten.

Dennoch konnte ich einen Satz zum Besten geben, der mich sehr verwirrt hatte. Einer der operierenden Chirurgen hatte nämlich gesagt; „Hm... Ich weiß nicht, was es ist, schnipp ich's durch!“

Beruhigend. Seehr beruhigend, wirklich.

Dieses Zitat kommt gleich nach „Es ist schon seltsam, wie leicht man mit so einem Messer durch die Bauchdecke kommt, oder?“ und „Wenn Sie nicht studieren, was machen Sie dann eigentlich hier?“ Aua.

 

 

15.06.

 

Ich mache heute meinen ersten Nachtdienst auf der Chirurgie und frage mich jetzt schon, wo die Zeit hingerannt ist. Eben war noch halb elf, jetzt ist es nach zwölf. Ich habe schon Blutzucker gemessen, die Vitalwerte abgenommen, Menschen angezogen, die sich auszogen hatten und, - das bisher am Beeindruckendste: Ein langes Gespräch mit einem total verzweifelten Patienten geführt.

Bereits, als ich von seiner Vorgeschichte hörte, schüttelte es mich vor Mitleid und mir fiel gleichzeitig ein Vers aus der Bibel ein, von dem ich das Gefühl hatte, ihn ihm unbedingt sagen zu müssen. Das tat ich dann auch: „Er heilt, die gebrochenen Herzens sind und verbindet ihre Wunden.“ Ich sprach mit Lars, - so hieß er, - über meine Zeit damals im Krankenhaus, die Zweifel und die Erfahrung, dass Gott, auch wenn man eine Situation einmal nicht verstand, trotzdem mit in der Dunkelheit dabei war. Dass er wusste, wie wir uns fühlten, weil er selbst gelitten hatte. Und dass ich eines gelernt hatte: In einer Krise hat man zwei Möglichkeiten, - mit Gott hindurchgehen oder ohne ihn und mit ihm ist eindeutig die bessere Alternative.

Er hingegen berichtete, dass er selbst einmal „religiös und fromm“ gewesen sei, ihm nach all dem, was er nun erlebt hatte, allerdings keiner mehr mit einem Gott zu kommen brauchte: Der Riss in der Bauchdecke, der Krankenhauskeim und die missglückte 7-stündige Operation, die nun wieder rückgängig gemacht werden sollte... All das waren nur wenige Punkte einer langen Liste an Erkrankungen und Schicksalsschlägen.

Jedenfalls sagte ich ihm, dass ich der festen Überzeugung war, dass wir eine Hoffnung über dieses Leben hinaus hatten und dass Jesus mir in dieser schweren Zeit gerade einen Frieden geschenkt hatte, der nicht von mir kam , - und den ich um nichts in der Welt missen wollte.

Ich fragte, ob ich für ihn beten dürfte und als er bejahte, schloss ich die Augen und legte einfach los. Die Worte kamen nicht von mir, dessen war ich mir bewusst. Es war meine Seele die schrie und es war Gottes Geist, der mir die richtigen Worte gab.

Als ich die Augen wieder öffnete, starrte Lars mich mit geöffnetem Mund an.

Das war ja unglaublich. Wollen Sie nicht vielleicht Theologie studieren?“

Hmm... die Sache mit den Pastorinnen...

Hatte ich bisher nicht überlegt, nein. Aber das alles... Das war nicht nur ich...“

Das kam einfach aus Ihnen heraus, richtig?“

Auch, ja. Aber als Christin glaube ich auch daran, dass Gott mich in dem Moment, als ich ihm gesagt habe: Ich packe es nicht mehr allein. Vergib mir und sei Herr meines Lebens. Ich lege es in deine Hand. , verändert hat. Dass sein Geist jetzt Teil von mir ist. Das war auch er. Er kämpft um Sie“

Ich weiß nicht, ob er genau verstand, was ich meinte, doch er sagte: „Danke, jedenfalls. Das hat mir viel bedeutet.“

Gerne. Sie sind nicht allein damit.“

Ein Blick auf die Uhr, als ich das Zimmer verließ, zeigte, dass wir über eine halbe Stunde miteinander geredet hatten.

Ein Kloß hatte sich aufs Neue in meiner Kehle gebildet.

Es war ein unglaubliches Gefühl, von Gott gebraucht zu werden.

Vor allem, nach einem Tag, den ich hauptsächlich in der Küche verbracht hatte, um für die Familie, bei der ich wohnte (und vor allem für Benni zum Geburtstag) ein peruanisches Drei-Gänge-Menü auf den Tisch zu bringen. In einem Moment, in dem ich eigentlich völlig fertig hätte sein sollen.

 

Der Rest der Nacht verlief spannend. Ich hatte so viel zu tun, dass ich gar nicht bemerkte, wie die Zeit verging. Ich rannte durch die Gegend, um Medikamente zu besorgen, schrieb Pflegeberichte, half einer Kollegin von der Inneren, die Patienten zu lagern (und das Bett einer Patientin neu zu beziehen, die ihre Zimmernachbarin mit einer Wasserflasche beworfen hatte, ist das denn zu glauben?) und naschte zwischendurch hin und wieder eine Erdbeere.

Um fünf Uhr morgens wurde es etwas ruhiger und Kati und ich hatten Zeit, ein wenig Pause zu machen, zu erzählen und uns gegenseitig Fotos zu zeigen. Hmm... es geht doch nichts über einen panierten Fetakäse zum Frühstück.

 

Dann der Schock: Um etwa dreiviertel Sechs, kurz vor der Übergabe, sagte sie es plötzlich: „Björn ist tot.“

Es war der MS-Patient mit einer Krankenakte, länger als Aleks' Wocheneinkaufsliste.

Kathi hatte ihn mehrere Male absaugen müssen, da er an einem Stück röchelte. Ich hatte es selbst auf dem Flur noch gehört. Und nun war er erstickt. Einfach so.

In einer Minute der Unachtsamkeit. „Lange kann er noch nicht tot sein.“, sagte sie.

Hätten wir noch etwas tun können? Diese Frage geisterte mir anschließend noch länger im Kopf herum.

Doch vermutlich war es für ihn eine Erlösung: Er hatte sein Leben lang gekämpft.

Es war meine erste Leiche und müde, wie ich war, erschütterte es mich, wie bleich sie war, doch die Erkenntnis, dass Björns Seele nun wirklich fort war, war irgendwie unwirklich.

So nah war ich dem Tod noch nie gewesen und sein Mysterium wurde für mich plötzlich viel greifbarer einerseits und unerklärlicher andererseits. Es überstieg meinen Verstand, dass Leute glauben konnten, dass er nun wirklich nicht mehr da war. Dass mit dem Tod alles aus war.

Leute sprachen wild durcheinander, Telefonate wurden geführt, die Erlebnisse der Nacht während der Übergabe ausgetauscht. Ich wollte einfach nur noch in mein Bett.

Passenderweise regnete es und so war ich froh, als Kathi und ich irgendwann gegen 7 Uhr schließlich mit dem Auto den Berg vom Krankenhaus hinunterfuhren.

Wir verabschiedeten uns voneinander und ich bedankte mich für alles. Sie war wirklich ein toller Mensch und hatte mir viel ermöglicht.

Wieder bei zuhause angekommen machte ich mir noch eine heiße Zitrone und legte mich dann schlafen. Um zwölf Uhr mittags stand ich wieder auf und vegetierte den Dienstag müde in der Gegend herum: Trank Kaffee, las in der Bibel, schrieb ein wenig an einem Roman.

 

Am späten Nachmittag unternahmen Benni und ich noch einen kurzen Spaziergang durch den Wald. Die Sonne schien für diese Uhrzeit sehr kräftig und der Wald leuchtete in hellen Grüntönen. Sehr früh und dennoch nicht früh genug, um den ganzen Schlaf aufzuholen, ging ich an diesem Tag ins Bett. 

 

  1. 06.

     

Ich bin froh, dass ich ihn nicht gefunden habe und wegen seines Krankenhauskeims eher selten in seinem Zimmer gewesen war.

Auch bin ich froh darüber, dass ich den ganzen Stress mit der Kripo nicht mehr mitbekommen habe (ein Chirurg hat bei Todesursache wohl das Häkchen für „unbekannt“ falsch gesetzt).

Und darüber, dass der Mittwoch wieder ein recht normaler Tag war, freue ich mich ebenfalls.

Petra ging nach Hause und schloss mich fest in die Arme.

Anna (die Schülerin, mit der ich mich sehr gut verstehe) und mir drückte sie jeweils einen Fünfer in die Hand und bat uns, uns davon ein Eis und einen Prosecco zu kaufen und an sie zu denken. Ihr kleiner Känguruh-Schlüsselanhänger wird mich vermutlich wirklich begleiten.

Und wir tauschten sogar unsere Handynummern aus, um in Kontakt bleiben zu können.

 

Ich lief viele Stockwerke und nach der Arbeit noch einen Lauf über die Felder. Die frische Luft tat mir gut und machte mich wieder ein wenig wacher.

 

 

 

  1. 06.

 

Lars stand heute wohl noch etwas unter dem Einfluss der Narkose nach seiner Operation. Jedenfalls bezeichnete er mich als „Engel der Station“ und war ganz selig, weil die schlimmste der Befürchtungen nicht eingetroffen war. „Das war dein Verdienst. Weil du gebetet hast.“, sagte er und ich konnte ihn nur mit Mühe davon überzeugen, dass dies nicht ich, sondern natürlich Gott gewesen war.

Gleichzeitig freute ich mich unheimlich mit ihm über das Wunder, das geschehen war.

 

Mit dem Schüler Aaron hatte ich an diesem Nachmittag auch viel Spaß. Wir brachten eine Patientin hinunter zum Corona-Abstrich und schmiedeten gemeinsam mit ihr Pläne, später auf ihrem Zimmer eine Pizza zu bestellen und uns einfach einen schönen Tag zu machen.

Fazit des Tages: Irgendwann sind wir eh alle alt und fett.

 

 

  1. 06.

 

Heute war der erste Tag nach meiner Nachtschicht, an dem ich mich wieder einigermaßen wie ein Mensch gefühlt habe. Dass Denk- und Argumentationsfähigkeit wiederhergestellt waren, stellte ich auch gleich bei dem Patienten unter Beweis, der nicht nur mich, sondern auch viele andere junge Mädchen immer wieder belästigte. Nachdem er sich im Bad auf Neue unmöglich aufgeführt hatte, hielt ich es einfach nicht mehr aus: „Sie sollten sich allen Ernstes etwas schämen!“, fuhr ich ihn an und hielt ihm anschließend eine mindestens fünfminütige Standpauke darüber, wie unerträglich sein Verhalten uns jungen Frauen gegenüber war. Sein Zimmernachbar zeigte mir hinter seinem Rücken mehrere Male ein „Daumen hoch“ und als ich fertig war und dem werten Herren vor mir im Rollstuhl offensichtlich die Worte fehlten, rauschte ich mit einem Gefühl des Triumphes und der Genugtuung aus dem Raum.

So klein mit Hut war der.“, erzählte besagter Zimmernachbar nachher meinen Kolleginnen.

Vermutlich hätte nicht viel gefehlt und er hätte applaudiert.

Dass er es nicht getan hatte, war nicht so schlimm, - denn dafür wurde ich den Rest des Tages auf unserer Station als Heldin gefeiert.

 

Eigentlich wäre ich im OP gewesen, da wir jedoch so wenige waren, blieb ich stattdessen auf Station, um zu helfen. Nicht umsonst: Ich rannte so viel hin und her, dass ich um viertel nach zwölf fix und fertig und ganz schwach vor Hunger war. Das Essen auszuteilen war da natürlich eine ziemliche Folter, - da ich erst die ganzen Patienten versorgen musste, bevor ich selbst meine Mittagspause machen konnte.

Das Highlight des Tages war eine Patientin, die die ganze Zeit vergaß, dass sie schon auf Toilette gewesen war. Ein anderer Patient dagegen meldete sich, weil er auf die Bettpfanne wollte, - und schon gewesen war: Natürlich ohne Bettpfanne.

Ich verbrachte mindestens zehn Minuten in seinem Zimmer, um die ganze Sauerei zu beseitigen. Tja, und dann gab es auch noch diese schönen Missgeschicke: Einer Patientin hatte man die falschen Medikamente mitgegeben, was nur durch den falschen Taxischein auffiel, - und ich durfte natürlich rennen, um die arme Frau aufzuhalten.

 

Das wirkliche Highlight meines Tages war dann allerdings die Operation, bei der ich eine halbe Stunde lang doch noch dabei sein konnte: Eine Beinamputation! Der leitende Chirurg erklärte mir eine Menge, ich durfte eine verkalkte Vene halten und war völlig außer mir, als ich erfuhr, dass sie diese Säge tatsächlich dafür nutzen würden, den Knochen durchzutrennen.

(Das ging übrigens überraschend schnell.)

Okay, ihr fragt euch jetzt sicher, was mit mir los ist, aber ich darf euch beruhigen: Ich bin nicht unter die sadistischen Psychopathen gegangen. Ich finde es lediglich faszinierend, was die Medizin alles kann.

Und der heutige Patient ist sowieso bettlägrig und hätte auch ohne Amputation nie mehr laufen können. Hinzu kam, dass sein Fuß voller Nekrosen war, das ist abgestorbenes Gewebe in verschiedenen Stadien. Ein Teil war sogar schon mumifiziert, sodass es aussah, wie Grillkäse.

Grillkäse in verschiedenen Grillstadien: Schwarz und Gelb.

Okay, lassen wir das.

Entschuldigt bitte.

 

 

22.06.

 

Die letzte Woche hat begonnen und ich habe heute meinen ersten Spätdienst. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, dass bald alles zu Ende geht, dennoch weiß ich jetzt schon, dass ich die Menschen, die ich hier kennenlernen durfte, unheimlich vermissen werde. Schwestern, Schüler, Patienten, alle.

Naja. Spätdienst ist bisher sehr entspannt, - mit Ausnahme von einem Patienten, dessen Stuhlgang nicht nur in der Windel, sondern vor allem überall um die Windel herum gelandet war. Zu dritt brauchten wir etwa eine Viertelstunde, - wenn nicht sogar mehr, - um das ganze Bett und ihn selbst wieder sauber zu bekommen. Ansonsten sind momentan nur wenige Patienten da, es wird kaum geklingelt und es ist nur wenig zu tun. Und heute Morgen hatte ich zeit, auszuschlafen, joggen zu gehen, bis halb elf zu frühstücken und danach noch sowohl mit Gott als auch mit Pauline (via Whatsapp, in letzterem Fall) zu reden. Eigentlich hatte ich mir alles Mögliche vorgenommen: Bankangelegenheiten und alle möglichen Internetrecherchen, beispielsweise, aber so war mein Vormittag auch sehr entspannt.

 

Was ist nun anders in einem Spätdienst?

Zunächst einmal die Aufgaben: Katheter leeren, Patienten bettfertig machen und Abendessen austeilen gehören normalerweise nicht zu meinen Tätigkeiten. Ansonsten sitzt man mehr herum, darf die Abendessen von Patienten essen, die bereits nach Hause gegangen sind und geht durch vom Abendlicht geflutete Gänge. Was auch seinen Charme hat.

UUUND ich bin heute noch kein einziges Stockwerk gelaufen, weil es keine Untersuchungen mehr gibt.

 

Das einzige, das mich sehr traurig macht, ist, dass Petra wegen einer Wundheilungsstörung wieder hier ist.

Dafür ist sie sehr dankbar, mich zu sehen und auch mit Lars hatte ich wieder ein tolles Gespräch. Er scheint Gott noch eine Chance geben zu wollen und ich habe ihm meine E-Mailadresse gegeben, falls er weitere Fragen hat. Der Krankenhauskeim ist jedenfalls saniert und auch sonst alles viel besser gelaufen als ursprünglich erwartet.

Gott tut Wunder!

 

Ein Wunder ist heute ebenfalls passiert:

Ilona hat mich nach mindestens zwanzig missglückten Versuchen von sowohl Patienten als auch Kollegen um mich herum nicht auf 16 oder 17, sondern tatsächlich auf 19 geschätzt.

Hurra!

 

Und das letzte Wunder: Weil nichts zu tun war, durfte ich sogar etwas früher gehen.

 

 

23.06.

 

Vorletzter Tag. Ich bin immer noch traurig. Oder wieder. Oder die ganze Zeit. Es ist einiges zu tun, aber auf einem sehr angenehmen Level. So, dass man zwischendurch einen Kaffee trinken kann, aber auch so, dass man genug zu tun hat uns ich nicht überflüssig fühlt. Gut, als Praktikantin kann man ja zur Not auch immer Kaffee kochen.

 

Anke bringt uns alle zum Lachen mit ihrer Art. Jetzt hat sie Brötchen im Mund und redet weniger darüber, dass sie nicht sie selbst, sondern ich ist. (Fragt einfach nicht...)

 

Oh mann, ich weiß nicht, was ich schreiben soll, aber ich will beschäftigt wirken.

So viel zu „angenehmes Level“.

Ah, aber es wird gleich wieder besser. Ein paar Rollstühle gibt es schließlich immer zu desinfizieren und Herr Will will auch wieder was. (Der Name ist Programm, haha.)

 

24.06.

 

Letzter Tag.

Ich habe bereits jetzt eindeutig zu oft beinahe geheult und für Corona-Verhältnisse vermutlich mehr Menschen umarmt, als das Gesundheitsamt es gerne hätte. Dafür konnte ich noch für einige Patienten beten und mich ausführlich von Petra verabschieden. Die Zeit verfliegt, auch wenn ich all die letzten Male (Vitalwerte messen, Patienten herumschieben, Essen austeilen, …) am liebsten irgendwie festhalten würde.

Selbst das Krankenhausessen war passend zum letzten Tag sehr lecker.

 

Die lieben Worte der Schwestern zum Abschied (sie wollten mich alle dabehalten) taten sein Übriges, dass ich zwar etwas wehmütig, aber letzten Endes vor allem sehr dankbar die Klinik verließ und ein letztes Mal den Weg antrat, den ich emotional bereits als Heimweg verbucht hatte. 

Am nächsten Tag brachten Anna und ich Petra noch ein Eis vorbei und ich schenkte der Station und Lars zum Abschied jeweils eine selbstgezeichnete Karte.

Gottes Segen dir.“, sagte er zum Abschied. Und: „Ich glaube, ich muss dem da oben noch einmal eine Chance geben.“ Den Kloß, den ich daraufhin in meiner Kehle hatte, konnte ich auch auf dem Gang nicht so schnell hinunterschlucken.

Anschließend setzten Anne und ich uns an den Fluss, beobachteten Bisamratten und Entenküken und unterhielten uns etwa drei Stunden, bis es langsam kühler wurde. Sie schenkte mir sogar etwas zum Abschied und ich weiß, dass wir auf jeden Fall Kontakt halten werden. Ich bin unheimlich dankbar, sie kennengelernt zu haben und sie erzählte mir, dass sie durch unsere gemeinsamen Gespräche dazu inspiriert worden sei, sich wieder mit einer Freundin zu versöhnen, mit der sie unheimlich lange kein Wort mehr gewechselt hatte. Das berührte mich sehr.

 

Auch die Familie, bei der ich gewohnt hatte, verabschiedete sich am darauffolgenden Abend sehr lieb von mir mit einem unheimlich leckeren Abendessen und einem gemeinsamen Filmeabend. Ich war sprachlos. Sogar ein kleines Geschenk hatten sie vorbereitet, - dabei war ich doch diejenige, die unheimlich reich beschenkt worden war: Ich hatte mich während der Zeit hier wie ein Teil der Familie gefühlt, - vollkommen akzeptiert und geliebt, so, wie ich war, mit all meinen Macken und Eigenheiten.

Gemeinsame Aktionen wie Spaziergänge, Radtouren, Filme- und Spieleabende, gemeinsames Musizieren oder der Besuch von Benni in Mannheim hatte dafür gesorgt, dass sich das Leben endlich wieder ein kleines bisschen normal anfühlte. Das alles hatte mir unheimlich gut getan und so war es kein Wunder, dass uns allen der Abschied schwer fiel.

Sie brachten mich gemeinsam zum Zug und schon während ich meinen viel zu schweren Koffer die Zugtreppen hochhievte, wusste ich, wie sehr ich sie alle vermissen würde.

 

Schon jetzt kann ich sagen, dass nach Meisenheim zu kommen die bestmögliche Entscheidung war, die ich zu diesem Zeitpunkt treffen konnte. Ich habe unheimlich viel gelernt, - auch über mich selbst, - und Begegnungen und Gespräche gehabt, für die allein es sich gelohnt hat, dass ich früher aus Peru zurückkehren musste. Oft standen mir während der Arbeit die Tränen der Rührung in den Augen, weil ich einfach nicht fassen konnte, wie groß und gütig Gott ist und dass er mich zu all diesen Dingen gebrauchen wollte.

Ich bin manchmal immer noch etwas traurig, doch längst nicht mehr verzweifelt.

Stattdessen kann ich völlig ehrlich dankbar für all das sein, was ich in Peru und auch danach erleben durfte. Gerade durch das ganze Corona-Chaos habe ich Gottes Führung und Schutz intensiver erlebt, als das in anderer Form jemals möglich gewesen wäre.

Es ist wirklich wahr: Schlimme Dinge passieren und es ist nicht Gott, der sie verursacht, dessen bin ich mir sicher. Aber er ist mitten in dem Chaos ein Auge im Sturm und kann aus jeder schlechten Situation noch etwas Gutes machen:

 

Wir wissen aber, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt. Das sind ja die Menschen, die er nach seinem freien Entschluss berufen hat. (Römer 8,28)

 

Ich gehe gestärkt aus allem Erlebten hervor und bin jetzt schon gespannt, was Gott in Zukunft für mich bereithält. Die Entscheidung für Lehramt oder Medizin, die Wohnungssuche, meine finanzielle Situation oder auch die Pläne für die nächsten Monate vor dem Studium, in denen ich offiziell noch bei meiner Organisation angestellt bin, sind nur Beispiele für Dinge, die ich Gott vertrauensvoll in die Hände legen werde.

 

Ich darf wissen: Egal, was kommt, - ich bin nicht allein.