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NF - Real Music?

(Ich oute mich als Fan. Aber aus gutem Grund!)

Wenn man mich fragt, was für ein Genre der Musik ich höre, dann fällt meine Antwort oft verschieden aus, - je nach Laune, Stimmung, Tageszeit und vielleicht auch aktuell vorhandenem Selbstbewusstsein. Da es zum Mainstream geworden ist, keinen Mainstream-Musikgeschmack zu haben, ist es einerseits schwierig, nicht mainstream zu sein und gleichzeitig schwierig, authentisch nicht mainstream zu sein, - Musik also vollkommen unabhängig von der Meinung anderer gut zu finden, - und nicht nur, weil niemand sonst sie gut findet. Ihr versteht, was ich meine? Hmm… vielleicht hätte ich das Wort „Mainstream“ auch wenigstens einmal durch ein Synonym ersetzen können, um diesen Test verständlicher zu machen, egaaal… - worauf ich eigentlich hinauswill:

Ich höre viele Musikstile gerne; von Soul über Hip Hop Rap bis Hard Rock ist so ziemlich alles dabei. So richtig „Fan“ von einer bestimmten Musikgruppe oder einem Soloartisten war ich eigentlich nie, weshalb ich auch den „Hype“, die Euphorie und die beinahe zwanghafte Heroisierung lange Zeit schlecht nachvollziehen konnte, die so eine Fanbase ausmacht. Bis zu meinem 15. Lebensjahr war ich größtenteils passiver Konsument, - und das gerne. Und dann, wie aus dem Nichts, als Bestandteil irgendeiner Playlist trat plötzlich NF in mein Leben. Oder zumindest seine Musik. Bis dato hatte ich wenig Hip Hop Rap gehört, schon gar keinen christlichen und so richtig etwas darunter vorstellen konnte ich mir auch nicht. Vielleicht war es das, was mich völlig unvoreingenommen an die Lieder herangehenließ, denn vom ersten Moment an hauten mich die Texte, die unverfälschte, raue Emotion und die Tiefe darin schlichtweg vollkommen um. Das war nicht nur Musik um der Musik willen (obwohl sie mir auch harmonisch sofort gefiel), es war viel mehr: Die Art von Kunst, die aus echtem Leid, unverdrängtem Gefühl und zugelassener Hoffnung geboren wurde. Die Art von lyrischer Schönheit, die ohne gefluchte Worte auskam und stattdessen auf tiefgründigen Inhalt setzte. Die Art von Talent, die zu diesem Zeitpunkt noch vollkommen unbemerkt und daher umso unschuldiger und ehrlicher war. Okay, man merkt, dass ich mittlerweile doch zu der Gruppe Leute gehöre, die sich wohl als Fan bezeichnen müssen , - und das immer noch, auch jetzt noch, nach fünf Jahren, in denen sowohl in meinem als auch in NFs (oder Nathan Feuersteins) Leben unheimlich viel geschehen ist.

 

Meine Leidenschaft für seine Musik begann damit, dass ich anfing, zu der Hintergrundgeschichte der Texte dieses Künstlers zu recherchieren, von dem ich zuvor noch nie etwas gehört hatte und der auf den offiziellen Streamingdiensten zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal 1000 Abonnenten zählen konnte. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass so hochwertige Musik in so gutem Stil so völlig unbekannt sein konnte. Und doch schien es genauso zu sein. Und als ich mich mit der Person hinter den Initialen NF beschäftigte, begann ich so langsam zu verstehen, warum.

 

Nathan Feuerstein war damals erst 24, er hatte gerade sein erstes Studioalbum Mansion veröffentlicht und stand am Anfang seiner Karriere, - vielleicht. Die Leidenschaft dafür hatte er jedenfalls, denn er rappte seit seiner Kindheit, begann früh, mit einer Karaokemaschine herumzuexperimentieren und damit seine ersten Songs aufzunehmen. Seinem Lied „Mansion“ war zu entnehmen, dass er in seiner frühesten Kindheit nicht nur die Scheidung seiner Eltern, sondern auch die Misshandlungen seines Stiefvaters ertragen musste und somit bereits früh viel Leid erlebte. Als wäre das nicht genug, starb kurz vor seinem Schulabschluss seine Mutter an einer Überdosis Drogen, was den eigentlich fröhlichen „Nate“ in tiefe Depressionen hineinriss. Als Christ brachte er all die Trauer zu Gott, nutzte gleichzeitig jedoch auch die Musik als Ventil, um das Erlebte zu verarbeiten. Das war es also, was mich an seiner Musik so faszinierte: Sie war echt. Ein Produkt der Zeit, in der er frustriert und völlig verzweifelt ins Studio flüchtete, das Ergebnis langer schlafloser Nächte, in denen er stattdessen Liedtexte verfasste. Sie war seine Therapie, er schrie und sang einfach alles heraus, was ihn beschäftigte und bewegte, aber mit einer Technik und einem Talent, dass dabei ein Kunstwerk entstand. Man hörte die Trauer genauso heraus wie den Wunsch nach Heilung, die Wut genauso wie den Willen, konstruktiv damit umzugehen. Alle Gedanken flossen in diese Texte, alle Emotionen in die teilweise sehr sanften, ruhigen und harmonischen Melodien. Hier war endlich mal ein Rapper, der auch unheimlich gut singen konnte! Und nicht nur das: NF nutzte zwar die Musik als Ventil, wusste gleichzeitig aber auch, dass sie nicht das war, was ihn heilen konnte, weil es nur einen gab, der dazu wirklich in der Lage war: Gott. Und so waren seine Lieder gleichzeitig auch Zeugnisse und Gebete, die anderen Menschen, die Ähnliches erlebt hatten den Vorhang dafür öffneten, wohin man mit allem Schmerz gehen konnte. Ohne es anfangs zu wollen, verursachte er ab dem Moment, in dem er begann, seine Lieder professionell zu veröffentlichen, dass sich misshandelte, depressive oder einfach verzweifelte Menschen und vor allem Jugendliche plötzlich gehört fühlten. ,Da ist jemand, dem geht es genauso wie mir, sogar noch schlimmer. Und er kommt aus diesem Loch heraus, indem er sich an Gott wendet und mit seinem Schmerz etwas Wundervolles erschafft.‘ Er sorgte mit seiner Musik dafür, dass Christen, die auf der Suche nach „sauberen“ Texten zu gutem Hip Hop waren, mit einem Mal fündig wurden. Dass Leute, die ihr Gefühlschaos nie in Worte hatten fassen können, auf einmal besser verstanden, was in ihnen vorging und den Mut hatten, den ersten Schritt in die Konfrontation zu wagen. Oder die nun nachvollziehen konnten, weshalb ein geliebter, traumatisierter Mensch so reagierte, wie er es eben tat.

Mein Vater arbeitet als psychologischer Psychotherapeut in einem christlichen Krankenhaus für Suchtkranke und benutzte eines seiner Lieder, in dem er den Tod seiner Mutter verarbeitet für eine Andacht, in der es darum ging, die Augen der Eltern für das zu öffnen, was sie auch ihren Kindern mit ihrem Konsum antaten. Die Botschaft war hart, aber klar und das Ergebnis immer dasselbe: Der Text und vor allem die unverhohlene Verletzung darin sorgten dafür, dass dutzende Tränen flossen und vor allem: Dass einzelne Hörer wachgerüttelt wurden oder sogar beschlossen, grundlegend etwas an ihrem Lebensstil zu ändern.

 

Und dann gab es noch die Menschen wie mich, die sich dem Sog, den diese Musik und ihr Inhalt besaß, nicht entziehen konnten und damit beschenkt wurden, einmal eine völlig neue Perspektive auf das Leben zu gewinnen, - und wie es für andere verlief. Die Dinge spürten, die sie vorher nie hatten empfinden können. Es war unmöglich, NFs Lieder zu hören und nichts zu fühlen. 

All das entdeckte ich in den ersten Wochen, in denen ich begann, immer mehr und mehr von seiner Musik zu hören. Bald fieberte ich der Veröffentlichung des zweiten Studioalbums „Therapy Session“ entgegen und hörte wochenlang nichts anderes, als es dann schließlich auf dem Markt war. Ich begann, tiefer in die Musikszene des (christlichen) Hip Hops einzusteigen, kreierte Fan-Art, wünschte mir einen Pullover von seinem Merch, der eigens zu diesem Zweck aus den USA eingeflogen werden musste, empfahl sein Album weiter und betete für den Menschen hinter dem Künstlernamen: Einerseits dafür, dass sein Traum, ein richtiger Rapper zu werden, in Erfüllung ging und andererseits dafür, dass er nicht so bekannt wurde, dass der Erfolg ihn kaputtmachte und ihm etwas von seiner Ehrlichkeit und Leidenschaft nahm. Denn ehrlich und vor allem authentisch war er: Er verleugnete seine Werte nicht, nahm sich viel Zeit für die Menschen, die von seinen Texten angesprochen wurden, fluchte nicht ein einziges Mal in den Zeilen seiner Songs und arbeitete stattdessen weiterhin an Flow und Technik, sodass er immer besser und schneller wurde. Hatten viele Passagen anfangs noch an sein Vorbild Eminem erinnert, so entwickelte er langsam aber sicher einen unverkennbar eigenen Stil. So komisch es auch klingen mag: Ich war irgendwie stolz auf ihn. Und als ich eines Tages auf ein Video stieß, indem er während eines seiner Konzerte einen Song unterbrach, um einen Fan darum zu bitten, mit dem Kiffen aufzuhören, da wurde ich noch stolzer. Selbst die Tatsache, dass er nicht in jedem Lied von Gott sprach, konnte ich sehr gut nachvollziehen, schließlich verstand er sich nicht als christlicher Rapper, sondern als Rapper, der eben Christ war und verarbeitete, was ihn beschäftigte, anstatt zwanghaft in jeder Line ein Loblied zu singen. Mit Gott und Jesus unterwegs zu sein bedeutete für ihn außerdem nicht unbedingt, dass alle Probleme seines Lebens mit sofortiger Wirkung gelöst waren, - oder dass er das erwartete und irgendjemandem versprach. "That's not only for the ones who sit and pray in the churches...", heißt es beispielsweise in einer seiner Liedzeilen. Stattdessen berichtete er ganz ehrlich von seinen Erfahrungen: Dass Gott eben im Leid und in den dunkelsten Stunden mit dabei war und ihm gerade dort am intensivsten begegnete, wo er aus eigener Kraft nicht mehr weiterkamen. Von einer Beziehung eben, die man erleben konnte, ohne per Definition besonders religiös zu sein und damit etwas, was für alle seine Hörer galt und nicht nur für den kleinen Teil, der möglicherweise aus einem christlichen Hintergrund kam.

Es dauerte eine Weile, doch nach und nach schienen immer mehr Leute zu entdecken, was für gute Musik Nathan John Feuerstein produzierte. Spätestens mit seinem dritten Studioalbum „Perception“ und dem Lied „Let you down“, das überall auf der Welt in den Charts landete, gelang ihm der Durchbruch. Plötzlich schnellten die Verkaufszahlen nach oben und aus dem unbekannten „No Name“ wurde ein bekannter Rapper, dessen Songs im Radio liefen. Das machte mich einerseits glücklich und andererseits irgendwie wütend, als in meinem Jahrgang die ersten Menschen begannen, ebenfalls mit NF-Merch herumzulaufen oder Let you Down (und nur Let you Down) mitsangen, wenn es im Radio lief. Es war, als wäre ich um einen Schatz verraten worden, den vorher nur ich besessen hatte, was natürlich vollkommen egoistisch und arrogant war: Ich hatte ja schließlich keinen Anspruch auf NFs Musik. Doch es kränkte irgendwie meinen Stolz, dass ich „es schon immer gewusst hatte“ und mir nun natürlich niemand glaubte, dass ich ihn schon seit zwei Jahren regelmäßig hörte. (Ich hängte das auch nicht an die große Glocke, schließlich wollte ich mich ja nicht darüber definieren, was ein völlig zweckloses und unsinniges Unterfangen gewesen wäre.) Und dennoch… es war frustrierend, dass nun alle NFs Namen kannten, aber nicht seine Texte. Weder seine beeindruckende Geschichte, noch seinen Glauben und die Werte, für die er stand. Die meisten Leute hörten nur die Musik und machten sich gar nicht die Mühe, genauer hinzuhören. Das war es, was mich in der Anfangszeit wirklich traurig machte. Dann begann ich jedoch, mir zu sagen, dass in Amerika jeder den Text verstehen konnte und die große Plattform, die Nate nun besaß ja auch eine riesige Chance für diese Menschen war. Gleichzeitig verschaffte mir sein Erfolg die Möglichkeit, endlich einmal eines seiner Konzerte zu besuchen.

. Das tat ich 2018 dann auch, und zwar mit einer guten Freundin in Berlin. (Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie aufgeregt ich war und wie unwirklich dann der Moment schien, in dem die Person, deren Werdegang ich jahrelang aufmerksam verfolgt hatte, plötzlich Live und in Farbe vor mir stand. Dass NF überhaupt in Europa tourte, eben, weil es nun Menschen hier gab, die seine Musik hörten. Es machte das Wunder zur gleichen Zeit greifbarer und surrealer…) An diesem Abend wurde ich außerdem Zeuge davon, wie anstrengend so ein Konzert sein kann. Wie sehr sich ein Künstler für die Menschen dort unten verausgabt, um ihnen etwas von sich zu geben. Wie schwierig es sein muss, in dem Applaus nicht die Anerkennung und den eigenen Wert zu suchen, ihn nicht als Lohn im Tauschhandel für das zu sehen, was man leistet. Vor allem dann, wenn all das, was man leistet auf dem Ursprung des Schmerzes begründet ist, den man verarbeiten muss.

Denn das ist es auch, was mich momentan etwas beunruhigt. Ich höre NFs Musik immer noch und steckte mir, als sein viertes Album „The Search“ erschien, einfach meine Kopfhörer in die Ohren und tanzte über die leeren Straßen Frankreichs, als ich die Lieder zum ersten Mal hörte. Auch dieses Album war musikalisch ein Meisterwerk, doch man hörte immer noch den Schmerz darin, der sich zu vertiefen schien und die Frustration darüber, dass der Erfolg nicht das war, was die Wunden in seinem Inneren heilte. Dass er immer noch an Depressionen litt und im Kampf dagegen nicht voranzukommen schien. Natürlich hatte Nathan gewusst, dass die Berühmtheit ihm nicht ausschließlich gut tun würde und dennoch schien es, als würden ihn all die letzten Entwicklungen vor eine gehörige Zwickmühle führen: Er hatte schon immer den Großteil seiner Inspiration aus dem Schrecklichen gezogen, das er erlebt hatte. Seine schwere Vergangenheit war es, die ihn zu einem Ausnahmekünstler machte, mit dessen Texten sich so viele identifizieren konnten und darin Trost fanden. Das hielt ihn nun jedoch auch davon ab, diese Dinge wirklich loszulassen, da er Angst hatte, dann einen Teil seiner selbst und vor allem seiner Musik zu verlieren. Ich litt mit ihm, während die Liedtexte mir das Chaos vor Augen malten, das in seiner Seele zu toben schien. Und ich betete.

Ich bete immer noch und bin aktuell dankbar für die Corona-Krise, die ihm eine Auszeit von den Touren ermöglicht und mehr Zeit mit seiner Ehefrau verschafft, mit der er seit zwei Jahren glücklich verheiratet ist. Gleichzeitig beeindruckt er mich immer wieder: Gerade letztens hatte er ein Demo auf Instagram veröffentlicht, das er eigentlich gar nicht benutzen wollte, doch als ein Fan ein Cover davon aufnahm, beschloss er kurzerhand, sie zu fragen, ob er ihre Version davon in dem Song benutzen durfte, - und veröffentlichte ein Lied, in dem er gemeinsam mit einem Fan sang. Ich weiß nicht, ob es überhaupt einen Künstler gibt, der so etwas schon einmal gemacht hat und es liegt wohl auf der Hand, dass dieses Mädchen völlig überwältigt von dieser Geste war.

(Ein bisschen neidisch war ich ja schon…)

 

 

Nun ja, wie dem auch sei: Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick geben und euch neugierig machen. Hört doch einfach mal rein… Es lohnt sich! 

Und wenn ihr wissen wollt, welche Titel sich meiner Ansicht nach meisten lohnen, dann schreibt mir doch einfach eine Nachricht über "Kontakt"! ;)